Für die Klimaziele 28.06.2022, 12:33 Uhr

Fahrradwirtschaft und Verbände fordern modernes Straßenverkehrsrecht

Ein breites Bündnis aus Verkehrs-, Umwelt- und Verbraucherverbänden mit der Fahrradwirtschaft fordert die Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) unter den Maßnahmen des Klimaschutzsofortprogramms.
Mehrere Fahrrad-, Umwelt- und Verbraucherverbände fordern eine Verkehrswende.
(Quelle: ADFC)
Um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, brauche Deutschland nicht nur eine Antriebswende, sondern eine echte Verkehrswende mit massiver Verlagerung von Autofahrten. Nur eine umfassende Reform des veralteten Straßenverkehrsgesetzes und der darauf fußenden Straßenverkehrsordnung stelle sicher, dass Kommunen den Fuß-, Rad- und Nahverkehr konsequent ausbauen können. Die Reform sei außerdem schnell und kostenneutral zu realisieren. Nach der Sommerpause müsse Bundesverkehrsminister Wissing einen Referentenentwurf vorlegen, Ende 2022 müsse das Gesetz bereits verabschiedet sein, so die Forderung des Bündnisses heute auf einer Bundespressekonferenz.

ADFC: E-Autos reichen nicht

Ann-Kathrin Schneider, ADFC-Bundesgeschäftsführerin, ist Initiatorin des Bündnisses. Sie sagt: „Natürlich müssen wir aus dem Verbrennermotor aussteigen – aber die Antriebswende reicht für den nachhaltigen Verkehr nicht aus. Die Menschen brauchen im 21. Jahrhundert vor allem gute Alternativen zum Auto. Das StVG ist im Kern noch das Kfz-Gesetz aus der Kaiserzeit. Es ist völlig antiquiert und behindert die Kommunen bei der Verkehrswende vor Ort. Wie appellieren an Minister Wissing: „Gehen Sie jetzt in die Geschichte ein als erster Verkehrsminister, der Fahrrad, Fuß und Bahn wirklich substanziell nach vorne bringt – und damit moderne Mobilität überhaupt erst ermöglicht.“

ZIV: Kommunen brauchen mehr Kompetenzen

Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbandes: „Der ZIV unterstützt die Forderungen des Bündnisses, weil zum Erreichen der Verkehrswende schnell ein zeitgemäßer rechtlicher Rahmen geschaffen werden muss, der den Kommunen mehr Gestaltungsspielräume beispielsweise bei der Anordnung von Radinfrastrukturen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt, und der endlich eine rechtliche Gleichstellung der aktiven Mobilität mit anderen Verkehrsträgern schafft. Die Menschen in Deutschland wollen eine zukunftsfähige Mobilität, sie wollen sicher Radfahren können und sie wollen – zurecht – lückenlose Radnetze. Dafür brauchen wir ein Straßenverkehrsgesetz, das den Fokus auf die Menschen und auf den Umweltverbund legt und der Autozentriertheit ein Ende setzt.“

BVZF: Deutschland droht der Abstieg

Wasilis von Rauch, Geschäftsführer Bundesverband Zukunft Fahrrad: „Wir brauchen dringend ein Straßenverkehrsgesetz, das Menschen Wahlfreiheit gibt und Kommunen Gestaltungsoptionen eröffnet. Die einseitige Fokussierung auf den Kfz-Verkehr, besonders bei der Platzverteilung, ist nicht mehr zeitgemäß. Klimafreundliche und flexible Verkehrsmittel wie das Fahrrad können ihr Potenzial nicht entfalten, lückenlose Radwegenetze sind nicht umsetzbar. Deutsche Städte versinken so in Stau und Asphalt. International setzt keine moderne Stadt mehr einseitig auf das Auto, stattdessen werden ÖPNV und aktive Mobilität per Rad und zu Fuß gestärkt. Damit deutsche Städte den Anschluss nicht verlieren, müssen Kriterien wie Klima-, Umwelt-, Gesundheitsschutz und nachhaltige städtebauliche Entwicklung Leitziele werden.“

Changing Cities: Verkehrskollaps würde Klimawandel beschleunigen

Ragnhild Sørensen von Changing Cities sagt: „Ein Weiter-So im Verkehrssektor ist eine klare Entscheidung für einen Kollaps auf den Straßen und für eine Beschleunigung der Klimakrise. Die Bundesregierung muss mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln diese katastrophale Entwicklung bremsen. Eine Novellierung des Straßenverkehrsgesetz ist dabei ein wichtiger Hebel. Und zwar noch in diesem Jahr, denn die Zeit rennt uns davon. Noch können wir unsere Zukunft gestalten und nicht nur die Schäden minimieren.“
Dr. Roman Ringwald, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Becker Büttner Held, ist Autor des alternativen Gesetzesvorschlags „Gute Straßen für alle“ und hat das Bündnis juristisch beraten. Er sagt: „Eine Modernisierung des Straßenverkehrsrechts ist von zentraler Bedeutung für einen anderen Umgang mit öffentlichen Flächen. Aktuell ist gerade die Straßenverkehrsordnung noch immer stark auf das privat genutzte Auto ausgerichtet. Für Kommunen ist es deswegen nur eingeschränkt möglich, den Öffentlichen Nahverkehr sowie den Fuß- und Radverkehr zu fördern. Auch das städtebauliche Interesse an attraktiven öffentlichen Räumen muss oft eine Nebenrolle spielen. Deswegen ist es so wichtig, dass sich die Regierungskoalition das Ziel gesetzt hat, das Straßenverkehrsrecht neu zu justieren und dabei auch die Ziele des Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigen will. Wenn Kommunen dadurch neue Entscheidungsspielräume erhalten, gelingt ein echter Schub für die Verkehrswende.“

Eine moderne Verfassung für die Straße

Zügig mit dem Auto voranzukommen, ist im aktuellen Straßenverkehrsgesetz (StVG) wichtiger als der Schutz von Menschen, ihrer Gesundheit oder der Klimaschutz. In der Praxis bedeutet das, dass beispielsweise geschützte Radfahrstreifen, Fahrradstraßen oder großflächiges Tempo 30 von Kommunen oftmals nicht umgesetzt werden können, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt. Das lässt sich aus der über 100-jährigen Geschichte des StVG als Kraftfahrzeuggesetz herleiten. Heute jedoch leiden Straßen, Menschen und Klima unter dem Autoverkehr. Ein modernes Straßenverkehrsgesetz müsse daher die umweltfreundlichen und platzsparenden Verkehrsarten Fuß, Rad und Nahverkehr klar gegenüber dem Auto priorisieren, so das Bündnis.

Über das Bündnis

Das auf ADFC-Initiative hin formierte Bündnis aus 14 Verkehrs-, Umwelt- und Verbraucherverbänden mit der Fahrradindustrie hat sich zum Ziel gesetzt, die Bundesregierung an die übergeordnete Bedeutung der StVG-Reform für den klimafreundlichen Verkehr zu erinnern – und konkrete Vorschläge für die Umsetzung zu machen. Im Bündnis engagieren sich der Fahrradclub ADFC, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND, der Bundesverband Carsharing bcs, der Verein Changing Cities, der Deutsche Naturschutzring DNR, die Deutsche Umwelthilfe DUH, der Fachverband Fussverkehr Deutschland Fuss e.V., Greenpeace, die Klima-Allianz Deutschland, der Verbraucherzentrale Bundesverband, der ökologische Verkehrsclub VCD, der Verbund Service und Fahrrad VSF, der Zweirad-Industrie-Verband ZIV und der Bundesverband Zukunft Fahrrad.



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