Unmittelbare Begegnung 09.11.2023, 10:05 Uhr

Fahrradfahren stärkt sozialen Zusammenhalt in der Großstadt

Wer seine Nachbarschaft vom Fahrradsattel aus wahrnimmt, erlebt den öffentlichen Raum sehr bewusst und unmittelbar. Eine Studie legt nun nahe, dass das dem Gemeinwohl zugutekommt.
Harald Schuster
(Quelle: Fern-Universität Hagen)
Eine psychologische Studie der Fern-Universität in Hagen zeigt, dass Radfahren in Städten positiv mit der Orientierung am Gemeinwohl zusammenhängt. Hauptautor der Studie ist Harald Schuster, Doktorand im Hagener Lehrgebiet Community Psychology. Gemeinsam mit Dr. Jolanda van der Noll (Fern-Uni-Lehrbeauftrage) und Lehrgebietsleiterin Prof. Dr. Anette Rohmann erforscht er in einem Projekt, wie das Mobilitätsverhalten von Menschen mit sozialem Zusammenhalt in Verbindung steht.
Basis ihrer aktuellen Studie waren Umfragedaten einer repräsentativen Stichprobe der deutschen städtischen Bevölkerung aus dem Zeitraum zwischen 2014 und 2019. „Wir haben uns auf Großstädte konzentriert, weil hier viele diverse, heterogene Menschen aufeinandertreffen“, erklärt Schuster. „Die Perspektive der Community Psychology nimmt Menschen in ihren sozialen und räumlichen Kontexten in den Blick“, ergänzt Anette Rohmann. „Hierbei die Bedeutung des Mobilitätsverhaltens für den sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft zu untersuchen, ist eine spannende neue Perspektive.“
Insgesamt schaute sich das Team vier Aspekte von Gemeinwohlorientierung an: politische Partizipation, soziale Beteiligung an Organisationen, Nachbarschaftssolidarität und nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft. Nachdem es die Ergebnisse um mögliche Störfaktoren wie Wohneigentum, Einkommen, Bildung oder Geschlecht bereinigt hatte, zeigte sich: Radfahren ist die einzige Variable, die einen signifikant positiven Einfluss auf alle vier Aspekte hatte. 

Öffentlicher Raum als Chance

Aber worin liegen die Gründe für diesen Zusammenhang? Macht Fahrradfahren einfach gute Laune? „Nein, aber wenn ich immer nur mit dem Auto unterwegs bin, vom Fahrstuhl über die Tiefgarage in den Wagen steige, dann sehe ich vielleicht gar nicht, dass beim Nachbarn die Regenrinne kaputt ist und er Hilfe benötigt“, verdeutlicht der Psychologe seinen Erklärungsansatz mit einem Beispiel. Gerade alltägliche Begegnungen stärken das soziale Vertrauen. Und wer seine Nachbarschaft auch mal durchstreift, ohne eine Karosserie um sich zu haben, hat wahrscheinlich ganz automatisch Kontakt, bemerkt Positives oder Probleme. Das Geflecht aus kleinen Erlebnissen könnte auch als sozialer Klebstoff angesichts wachsender gesellschaftlicher Polarisierung wirken. Wie die Prozesse genau aussehen, das untersucht Schuster in weiteren Studien seines Dissertationsprojekts. „Meine Überzeugung ist, dass wir als Gesellschaft mit Blick auf die kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen viel Zutrauen brauchen, um nicht auseinanderzufallen“, unterstreicht er einen Kerngedanken der Community Psychology. 

Stadtverkehr anders gestalten

Schon seit vielen Jahren macht sich Harald Schuster deshalb auch dafür stark, den urbanen öffentlichen Raum aufzuwerten: Als Vorstand des Umweltschutz-Vereins Radkomm gehört er zum Gründungskreis von „Aufbruch Fahrrad“ – einem großen Aktionsbündnis für nachhaltigere Mobilität. Die Studie „Orientation towards the common good in cities: The role of individual urban mobility behavior” ist hier im Journal of Environmental Psychology erschienen.


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