Umfrage unter US-Bürgern 18.03.2021, 15:13 Uhr

US-Forscher fordern Fahrradbranche zur Ansprache diverserer Zielgruppen auf

Eine Studie in den USA definiert Radfahren als Aktivität einer kleinen Zielgruppe von vornehmlich weißen, wohlhabenden und sportlichen Männern. Unternehmen und Politiker sollten deshalb eine breitere Bevölkerung ansprechen. Eine deutsche Fahrradexpertin stimmt zu.
(Quelle: Pixabay)
Die US-amerikanische Herstellerinitiative People For Bikes hat die Ergebnisse einer Studie zum Radfahren in den USA veröffentlicht. Ein maßgebliches Ergebnis: Die stärkere Ansprache von Minderheiten sowie Investitionen in die Infrastruktur würden den Radverkehr fördern. 
In der Studie „Where do we go from here? Breaking down barriers to bicycling in the U.S." (zu Deutsch: Wie schreiten wir hier voran?) untersucht das Voorhees Transportation Center der Rutgers University, wie die Hindernisse für das Radfahren in den USA abgebaut werden können. Dort wird das Fahrradfahren zwar seit Jahren immer beliebter, doch in einigen Gemeinden wollen bestimmte Minderheiten und niedrige Einkommensgruppen noch nicht Radfahren. Die Ursache verortet die Studie darin, dass viele Minderheiten sich nicht mit dem Bild der Radfahrer identifizieren, das in Print- und Online-Medien gezeigt wird. Ein von vielen Befragten genanntes Stereotyp: Radfahrer sind weiß, im mittleren Lebensalter, gebildet, sozial hochstehend, vorwiegend männlich, oft athletisch. Sie tragen Fahrradbekleidung, Radschuhe und Helme, fahren teure Rennräder und befolgen Fahrradregeln, geben etwa Handzeichen. Genannt wurden zwar auch tätowierte Hippies in Alltagskleidung ohne Helm, aber manche Passage der Studie scheint, als ob das Bild des typischen Radfahrers in den USA stark vom Leistungssport der Lance Armstrong-Ära geprägt ist, und das Fahrrad als Verkehrsmittel in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert wird. 
Geringe Identifikation mit diesen Stereotypen verortet die Studie bei Schwarzen und Latinos: „Immer wenn ich Bilder von Radfahrern oder jemandem mit einem Fahrrad sehe, denke ich automatisch, dass es nichts für mich als jemanden ist, der über zehn Jahre alt und schwarz ist“, sagte eine Teilnehmerin. Ein Teilnehmer aus Portland, Oregon, meinte über das Radfahren: „Die meisten Leute würden sagen, das ist was für Weiße. Warum willst Du Radfahren?“
Die Studie empfiehlt fünf Maßnahmen, damit es gelingt mehr Zielgruppen zu erreichen:
• Sprechen Sie Minderheiten dort an, wo sie leben, arbeiten und spielen. Erwarten Sie nicht, dass diese Gruppen auf Sie zukommen oder sich auf traditionellem Weg ansprechen lassen. 
• Gewinnen Sie Vorbilder der Zielgruppen als Partner. Fragen Sie nach deren Meinung und reagieren Sie entsprechend darauf. 
• Unternehmen können Förderprogramme anbieten: Sie sollten Mitarbeiter dazu ermutigen, mit dem Fahrrad zu pendeln, und Anreize bieten. Das können finanzielle Vorteile für Fahrradpendler, Annehmlichkeiten wie Duscheinrichtungen oder sichere Abstellräume sein. Man sollte vor allem Unternehmen gewinnen, die noch keine Fahrradkultur entwickelt haben.
• Entwickeln Sie Unterrichtsmaterial, Marketing- und Kontaktstrategien. Radfahrer, Autofahrer und Polizeibeamte müssen lernen, wie man Straßen sicher gemeinsam nutzt. Die Zielgruppen müssen sich im Marketing- und Schulungsmaterial wiederfinden und sich damit identifizieren können. Am wirkungsvollsten sind Aktionen abseits traditioneller staatlicher Maßnahmen. 
• Bauen und investieren Sie in die Fahrradinfrastruktur. Gut beleuchtete, sichere Radwege bringen Komfort und Sicherheit und sind damit der wichtigste Faktor für mehr Radverkehr. Dies gilt unabhängig von Ethnie, Geschlecht und Alter, insbesondere aber für Frauen und weniger erfahrene Radfahrer. Am dringlichsten sind solche Maßnahmen in verkehrsreichen Gegenden. 
Wie ist die Lage in Deutschland?
Lassen sich diese Erkenntnisse auch auf Deutschland übertragen? Isabell Eberlein erkennt Parallelen. Die Berlinerin, Geschäftsführerin der Fahrradagentur Velokonzept, ist eine der Frauen hinter der Women in Cycling-Initiative. Auch mit fahrradfernen Milieus hatte sie schon Kontakt, etwa bei Vorträgen vor Schulklassen in Berlin Neukölln. „Ich würde ganz klar sagen - ja, die Ergebnisse treffen im Allgemeinen auch auf Deutschland zu. Hier gehören Radfahrer und Radfahrerinnen einem ähnlichen sozialen Umfeld an. Sie kommen wahrscheinlich mehrheitlich aus einem bürgerlich-akademischen Umfeld. In Deutschland sprechen wir nicht die Breite und Diversität in der Gesellschaft zum Radfahren an. Das ist eine Tatsache. Deutschlands Männer fahren prozentual mehr und häufiger Fahrrad als Deutschlands Frauen. Manche Zielgruppen finden Radfahren uncool. Manche betrachten Fahrräder als Fortbewegungsmittel für arme Leute, oder als Kinderspielzeug. Ihnen selber ist das zu anstrengend und ausschließend. Bürger mit Migrationshintergrund und mit geringem sozialen Status äußern teilweise starke Vorbehalte gegenüber dem Radfahren. Und wenn dann die Kinder keine radfahrenden Vorbilder haben, zieht sich diese Einstellung durch Generationen.“
Eberlein zieht einen Vergleich zu den Niederlanden: Dort entsprechen die Radfahrer dem gesellschaftlichen Querschnitt hinsichtlich Alter, Herkunft, Religion, sozialem Status und Geschlecht erheblich stärker als hier. Um das zu ändern, empfiehlt auch sie: Die Fahrradbranche muss als erstes das Potenzial der Vielfalt erkennen und Brücken bauen in andere Gemeinden. Diese Gruppen müssen gehört und repräsentiert werden. Dafür sollten sie sich diese auch auf Bildern und in Marketingkampagnen der Unternehmen wieder finden. „Um diese Zielgruppen anzusprechen müssen wir mit Berühmtheiten und anerkannten Personen in den Gruppen zusammenarbeiten, etwa mit Youtube-Stars, die bei Jugendlichen angesagt sind“, so Eberlein.



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