Pflichten für Pedelec-Fahrer 16.03.2021, 13:29 Uhr

Leva-EU stellt neues rechtliches Konzept für Elektroräder vor

Der Herstellerverband Leva-EU schlägt der EU-Kommission eine neue rechtliche Klassifizierung von leichten Elektrofahrzeugen, also auch E-Rädern vor. Gegenwind kommt aus der Fahrradbranche. Grund ist die Sorge, dass Pedelecs als Kraftfahrzeuge eingestuft werden könnten.
(Quelle: Pixabay)
Der Industrieverband Leva-EU arbeitet an neuen rechtlichen Kategorien für leichte Elektroverkehrsmittel. Der Verband will elektrisch betriebene Fortbewegungsmittel unter dem Sammelbegriff Zero Tailpipe Emission Vehicles (ZEVs) zusammenfassen, also Abgasfreie Vehikel. Aktuell unterliegen viele dieser Verkehrsmittel unterschiedlichen Kategorien. S-Pedelecs unterliegen der EU-Verordnung 168/2013 und damit der strengen L-Kategorie: Führerschein, Helm und Kennzeichen sind Pflicht, der Radweg verboten. Diese Kategorie war ursprünglich für Mopeds und Motorräder mit Benzinmotor ausgelegt. Kraft der Verordnung 168/2013 sind 25er Pedelecs von der strengen L-Kategorie ausgenommen. Nutzer dürfen daher auf dem Radweg fahren, ohne Führerschein, Helm und Kennzeichen. 25er Pedelecs unterliegen der Maschinenrichtlinie. Von dieser ausgeschlossen sind Zweiräder, die im rechtlichen Sinne als Fahrzeuge klassifiziert sind, also 45er S-Pedelecs. 
Je nach Sortiment profitiert also ein Hersteller von den Privilegien der Maschinenrichtlinie für 25er Pedelecs, oder ringt mit den strengen Regeln der Verordnung 168/2013. Die von Leva-EU vertretenen Hersteller werden oft von den schärferen Vorschriften der Verordnung 168/2013 behindert.
Leva-EU will Befreiung von Verordnung 168/2013
Leva-EU will darum S-Pedelecs und andere ZEVs mit einer maximalen Unterstützungsgeschwindigkeit von höchstens 50 km/h von der Verordnung 168/2013 ausschließen, so wie bereits Pedelecs. Außerdem will der Verband alle emissionsfreien Zweiräder von der Maschinenrichtlinie ausschließen. Also auch Pedelecs. Stattdessen schlägt Leva-EU eine neue Verordnung für ZEVs vor, mit grundlegenden Sicherheitsanforderungen und einheitlichen Normen, etwa eine Kategorisierung nur nach Geschwindigkeit und Gewicht und fordert Mitspracherecht bei dieser neue Verordnung bei der Europäischen Kommission. Leva-EU plädiert dafür, dass alle Infrastrukturen wie Radwege, Radstraßen, Radschnellwege und Fahrradparkplätze in ZEV-Infrastruktur umbenannt werden. Verkehrszeichen sollten auch emissionsfreie Fortbewegungsmittel widerspiegeln, eine Maßnahme, die ihrer Ansicht nach die Wahrnehmung von kleineren Elektromobilen durch Radfahrer und Autofahrer verbessern würde. 
Nischenprodukte könnten von Reform profitieren
Profitieren könnten etwa körperbehinderte Nutzer von Fahrrädern mit Gasgriff oder Transportradnutzer mit über 250 Watt Motorunterstützung, oder eben Nutzer von anderen Nischenfahrzeugen wie E-Skateboards. Darum hält sich die Unterstützung solcher Forderungen durch die Industrie bisher auch in Grenzen: Pedelec-Hersteller sind mit der geltenden Regel, also dem Ausschluss von Pedelecs von der Führerschein-, Versicherungs-, Kennzeichen- und Helmpflicht und vor allem dem Privileg, Radwege nutzen zu dürfen, selbstverständlich zufrieden.
Die Leva-EU-Managerin Annick Roetynck sagte, die Einführung des Konzepts der emissionsfreien Fahrzeuge (Zero Emission Vehicles, ZEV) würde die ZEVs endgültig von den „langwierigen, ungenauen Rechtsvorschriften“ für Fahrzeuge mit Benzinmotor abheben. Leva-EU hat das Papier auch dem britischen Transport Research Laboratory (TRL) vorgelegt. Das TRL führt gerade eine Studie zur Marktentwicklung und Verkehrssicherheitsrisiken für Fahrzeuge der Kategorie L und neue persönliche Mobilitätsgeräte für die EU-Kommission durch. Die Ergebnisse sollen am 18. März vorgestellt werden.
Will die EU Pedelecs als Kraftfahrzeugen einstufen?
Die Studie gilt als brisant: Der europäische Herstellerverband Conebi befürchtet als Folge eine Einstufung von Pedelecs in die gefürchtete L-Kategorie. Das wäre verbunden mit Typgenehmigung, Führerschein, Kennzeichen, Helmpflicht und Nutzung der Straße statt Radweg. Conebi begründet dies damit, dass bereits zu Beginn des letzten Jahres über die Überprüfung der Typgenehmigung diskutiert wurde. Auslöser waren Sicherheitsbedenken bei neuen Fahrzeugen für die persönliche Mobilität, insbesondere bei E-Tretrollern und ähnlichen Fahrzeugen.  
Sicher hat neben vielen Unfällen mit E-Tretrollern auch der spektakuläre Unfall mit dem Stint-Kindertransporter in den Niederlanden diese Diskussion befeuert, damals starben mehrere Kinder bei einer Kollision mit einem Zug, nachdem die Bremsen des Stint versagt hatten. Für all diese Fahrzeuge gibt es derzeit keine einheitlichen europäischen Regeln. 
Als die EU-Kommission ihre Pläne für die Überarbeitung der Typgenehmigungsrichtlinie formalisierte, habe sie beschlossen, den Anwendungsbereich auch auf Pedelecs und S-Pedelecs auszudehnen, was bedeutet, „dass jetzt die reale Gefahr besteht, dass EPACs (Electrically Powered Assisted Cycles) auch in die überarbeitete Typgenehmigung aufgenommen werden könnten“, so Conebi zu SAZbike.  Eine weitere Gefahr, die Conebi in dieser Studie sieht, sind gleiche Richtlinien für Pedelecs und  Elektrokleinstfahrzeuge, obwohl diese Fahrzeuge verschiedene Eigenschaften haben. So werden Pedelecs immer auch mit Muskelkraft betrieben und haben größere Reifen, was die Dynamik des Fahrzeuges ändert. Das Wort von Conebi hat Gewicht, dieser vertritt den ZIV, Conebis Vize-Präsident ist der Accell-Vorstandsvorsitzende Ton Anbeek.
Eine obligatorische Typgenehmigung hätte weitreichende Konsequenzen, da Pedelecs dann als Kraftfahrzeuge betrachtet würden: Pedelec-Fahrer bräuchten eine Kfz-Versicherung, einen Führerschein, einen Helm, vielleicht gar einen Motorradhelm. 
Conebi und ZIV befürchten Typgenehmigung für Pedelecs
Der Conebi-Präsident Erhard Büchel sagte darum im Herbst: „Derzeit besteht ein großes Risiko, dass Epacs ihren Status als Fahrrad verlieren und künftig in den Europäischen Rahmen für die Typgenehmigung aufgenommen werden könnten. Eine obligatorische Typgenehmigung hätte enorme Konsequenzen für die Verbraucher und die Fahrradindustrie im Allgemeinen.“
Und der ZIV-Geschäftsführer Ernst Brust ergänzt: „Der ZIV steht dem Vorstoß von Leva-EU hinsichtlich einer Neuklassifizierung von ,emissionsfreien Fahrzeugen‘ kritisch gegenüber und lehnt diesen ab. Dies würde die aktuellen Diskussionen nur verkomplizieren. Der ZIV fokussiert sich lieber auf eine saubere Überarbeitung der EU-Verordnung 168/2013. Darüber hinaus ist der ZIV der Auffassung, dass Pedelecs auch zukünftig unter der in der EN15194 harmonisierten Maschinenrichtlinie kategorisiert sein sollten. Dies hat sich in der Vergangenheit bewährt und wird von den Marktteilnehmern befürwortet.“
Leva-EU, mit vielen Mitgliedern, die S-Pedelecs oder drei- oder vierrädrige Elektromobile anbieten, bestreitet dies. Die Typgenehmigung für Fahrzeuge der L-Klasse, etwa S-Pedelecs oder Mopeds, fällt in die Zuständigkeit der Automotive Unit der Europäischen Kommission. Diese Gruppe hat laut Leva-EU nie implizite oder explizite Erklärungen zur Einführung von Pedelecs gemäß der Verordnung 168/2013 abgegeben. 
Wie real ist also die Gefahr, dass der Pedelec-Verkauf durch strengere Regeln ausgebremst wird?
Februar 2020: EU kündigt Untersuchung an
Die Diskussion in der Branche begann nach einem Symposium im Februar 2020. Dort vertrat Efren Sanchez-Galindo die EU-Kommission und erwähnte, dass einige Mitgliedsstaaten die Kommission gebeten hätten zu untersuchen, ob leichte Elektrofahrzeuge, die ausdrücklich als E-Scooter und selbstbalancierende Elektrofahrzeuge bezeichnet werden, unter die Verordnung 168/2013 fallen sollten, und damit Regeln unterliegen würden wie S-Pedelecs oder Mofas. Ursache war die gestiegene Unfallzahl von E-Scootern und Elektro-Mobilen. 
Es war sogar Leva-EU, die aus der Ankündigung der Kommission ableiteten, dass sogar Pedelecs betroffen sein könnten, denn wenn E-Scooter unter die Verordnung 168/2013 fallen würden, gäbe es nur noch sehr wenige Argumente, um Pedelecs weiterhin auszuschließen. Mittlerweile hat die EU-Kommission die Überprüfung auf alle leichten Elektrofahrzeuge einschließlich Elektrofahrräder und Lastenräder ausgeweitet.  
Die Leva-EU-Managerin Annick Roetynck betont jedoch, dass es heute keine derart unmittelbare Bedrohung gibt. Das war nur eine logische Schlussfolgerung des Symposiums im Februar. „Reine Pedelec-Hersteller stellen die Überprüfung jedoch als große Gefahr für Pedelecs dar, weil sie jede Veränderung verhindern wollen, um ihr Geschäftsmodell zu schützen. Andere Hersteller, die auch andere leichte Elektrofahrzeuge anbieten, brauchen jedoch dringend eine Gesetzesänderung, um ihnen zu helfen, ihre Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, wie S-Pedelecs oder E-Lastenräder mit Motoren, die mehr als 250 Watt produzieren, und neue Arten von leichten Elektrofahrzeugen mit drei oder vier Rädern“, so Roetynck. Leva-EU vermutet hinter diese Befürchtung den Schutz des eigenen Geschäftsmodells reiner Pedelec-Hersteller. Bezüglich der Forderung nach stärkeren Motoren für E-Lastenrädern erhält Leva-EU aktuell Unterstützung vom Radlogistik Verband Deutschland. 
Dirk Zedler sieht Pedelec-Erfolg in Gefahr
Ein unabhängiger Sicherheitsexperte ist Dirk Zedler, Geschäftsführer des Zedler Institus. Zedler erklärt, dass Gutachten zu Unfällen oder sonstigen Sicherheitsproblemen mit Verkehrsmitteln ein wichtiger Teil seines Geschäfts sind. „Auffällig oft untersuchen wir dabei auch Nischenprodukte, etwa Elektrotretroller oder E-Skateboards. Im Verhältnis zu deren Verbreitung auf den Straßen nehmen diese einen überproportional hohen Anteil an unserer Arbeit ein.“ Seine Mitarbeiter und Zedler selbst führen dies auch auf physikalische Gründe zurück, etwa die schlechteren Überrolleigenschaften kleiner Laufräder, um nur ein Merkmal zu nennen. „Ich wüsste keine Maßnahme, mit denen man diese Produkte auf das Sicherheitsniveau von Fahrrädern heben kann. Wenn man dann neben der höheren Sicherheit von Pedelecs auch noch deren Alltagstauglichkeit für breite Zielgruppen berücksichtigt, dann ist für mich die Sache klar: Von allen Nicht-Kraftfahrzeugen bringt das Pedelec unserer Gesellschaft den mit Abstand größten Nutzen. Elektrokleinfahrzeuge, also E-Skateboards und ähnliches, haben auch ihre Berechtigung, aber nicht als massentaugliche Verkehrsmittel.“ 
Zedler bekräftigt, dass der große Erfolg des Pedelecs auf der unkomplizierten Nutzung basiert, ohne Führerschein- und Helmpflicht, ohne Versicherung oder TÜV-Prüfung. Das wurde möglich durch die Ausnahme des Pedelecs aus der strengen L-Kategorie durch die Verordnung 168/2013 und der Einordnung in die Maschinenrichtlinie. Er meint: „Das war ein Wahnsinnserfolg der Fahrradbranche. Doch diesen sehe ich in Gefahr, wenn immer größere und schwerere Zweiräder als Fahrräder verkauft werden. Ein Lastenrad mit über 300 Kilogramm Gesamtgewicht ist für mich kein Fahrrad mehr. Wenn man so etwas auf unmarkierten Flächen, etwa dem Gehweg, abstellt, führt bereits dies zu Konflikten. Und auf dem Radweg haben bis zu 800 Kilo schwere Lastenräder erst recht nichts verloren, weil damit Unfälle viel gefährlicher sind als mit Fahrrädern. Das scheint mir nur eine Frage der Zeit, bis Juristen hier die so genannte Betriebsgefahr diskutieren werden. Diese steigt mit Masse und Geschwindigkeit. Fahrradfahrer werden dabei niedrig angesetzt, üblicherweise direkt über dem Fußgänger. Je schwerer Fahrräder werden, desto höher stuft die Justiz unsere Betriebsgefahr ein. Wenn es ganz schlecht kommt, werden wir dann nicht mehr als die gefährdeten Verkehrsteilnehmer eingestuft, sondern als diejenigen, von denen Gefahr ausgeht. Damit würde sich die Rechtsprechung zu Ungunsten von Radfahrern ändern. Und es gibt einflussreiche Größen, die das Pedelec gerne als Kraftfahrzeug eingestuft sehen würden, etwa Versicherer. Und vermutlich auch mancher Autohersteller.“
Studie kommt am 18. März
Die EU-Kommission äußert sich über Mehdi Hocine, ihren Vizedirektor für Automobile und Mobilität. Hocine erklärt, die Studie diene in erster Linie dazu, allgemeine Sicherheitsfragen zu Elektromobilen zu klären. „Vor der Verabschiedung der Verordnung 168/2013 wurde bereits festgestellt, dass für Pedelecs mit einer Nennleistung von weniger als 250 Watt keine Typgenehmigung erforderlich ist. Die neue Studie wird daher vorhandene Daten aktualisieren und Daten für Kategorien von Fahrrädern sammeln, die zum Zeitpunkt der letzten Überarbeitung der EU-Rechtsvorschriften noch nicht vorhanden waren. Daher können wir nicht über das Ergebnis der laufenden Studie und die möglicherweise folgenden Maßnahmen spekulieren.“ Die Untersuchung der EU-Kommission soll im Februar enden, die Studie wird am 18. März veröffentlicht.



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