Sicherheit und Haftung 15.06.2020, 10:14 Uhr

Leva-EU warnt vor E-Rollern mit Sattel, aber ohne Typgenehmigung

Mit dem Aufkommen der Elektrotretroller gelangen in den ersten EU-Staaten auch E-Scooter mit Sattel auf die Straßen. Der Herstellerverband Leva-EU warnt jedoch: Legal sind diese Roller nur mit Typgenehmigung.
E-Scooter mit Sattel
(Quelle: Leva-EU)
In Belgien, das sehr günstige Regeln für E-Scooter in seine Straßenverkehrsordnung aufgenommen hat, wachse das Angebot von Elektrorollern mit Sattel merklich. Der Online-Händler Bol.com hat einen Elektroroller „für Kinder“ ab 117,99 Euro. Über die Plattform Fruugo werden Roller mit Sattel ab 269 Euro beworben. Mediamarkt bietet das Mpman als elektrisches Laufrad für 349 Euro an. Im Webshop der Wochenzeitung Knack ist der Ecoscooter für 499 Euro und Fnac wirbt für einen Roller der Marke Inmotion für 699,35 Euro. Leva-EU, ein europäischer Verband für Leicht- und Elektrofahrzeughersteller, warnt vor den Gefahren.
Alle diese Fahrzeuge sind nämlich nach Einschätzung von Leva-EU eines gemeinsam illegal. Der Verband ruft darum alle Händler auf, den Verkauf sofort einzustellen und alle verkauften Fahrzeuge zurückzurufen. Sollte eines dieser Fahrzeuge in einen schweren Unfall verwickelt sein, seien die Folgen für die beteiligten Händler und Hersteller der Roller unkalkulierbar.
Leva-EU verhandelt nach eigenen Angaben direkt mit den europäischen Institutionen über die technischen Rechtsvorschriften für diese Fahrzeuge. Infolgedessen verfüge die Organisation aus erster Hand über korrekte und gründliche Kenntnisse der Gesetzgebung. 
Die meisten Anbieter geben laut Leva-EU den rechtlichen Status dieser E-Scooter mit Sattel nicht preis oder legen nahe, dass sie zu der Sonderkategorie gehören, die Belgien in der Straßenverkehrsordnung für E-Scooter ohne Sattel geschaffen hat.  Es bestehe auch die Möglichkeit, dass die Händler selbst sich über die Illegalität der Ware nicht im Klaren sei, so der Verband. 
Veraltete Gesetze begünstigen Wildwuchs
Der Rechtsstatus des Elektrorollers mit Sattel ist das Ergebnis von 1.036 Seiten europäischer Gesetzgebung, die sich nach Ansicht von Leva-EU mit dem Markt nicht weiterentwickelt hat. Im Jahr 2009 musste die Europäische Kommission die technischen Anforderungen für Mopeds und Motorräder umschreiben. Schon damals sei klar gewesen, dass der Verbrennungsmotor seinem elektrischen Pendant weichen müsse. Die Kommission weigerte sich dann nach Darstellung von Leva-EU mit Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rates hartnäckig, zukunftssichere Rechtstexte zu verfassen. Auf 1.036 Seiten beschreiben die Verordnung 168/2013 und die vier zugehörigen Durchführungsverordnungen vor allem die Begrenzung von Emissionen und dazu Sicherheitsmerkmale, die für leichte Elektrofahrzeuge nicht relevant seien.
Nur ohne Sattel gelten Ausnahmen
Die Kommission war damals bereit, das klassische Elektrofahrrad (25 km/h-250W) aus der Verordnung (EG) Nr. 168/2013 sowie eine Reihe anderer Fahrzeuge auszuschließen, die sie laut Leva-EU bei der Typgenehmigung nicht zu handhaben wussten. Dies sei der Fall gewesen bei Fahrzeugen, die „nicht mit mindestens einer Sitzplatzposition ausgestattet sind“ (Artikel 2.2.j der Verordnung 168/2013). Elektroroller, die nicht mit einem Sitz ausgestattet sind, sind daher von der Typgenehmigung für Mopeds und Motorräder ausgeschlossen. Folglich geraten diese Roller, was die Straßenverkehrsordnung betrifft, heute in ein historisch gewachsenes Rechtsvakuum, das die Mitgliedstaaten nach eigenem Ermessen ausfüllen können. 
Um dieses Vakuum zu füllen, habe Belgien die Kategorie „Lokomotivmaschinen“ (voortbewegingstoestel (NL) – engin de déplacement (F)) entwickelt. Belgien hat in der Straßenverkehrsordnung festgelegt, dass diese Fahrzeuge bis zu 25 km/h fahren dürfen. Darüber hinaus erhielten sie eine ähnliche Position auf der Straße wie Fahrräder, sie benötigten kein Nummernschild und keine Versicherung. Der Benutzer dürfe keinen Helm tragen und benötige keinen Führerschein.
Mit Sattel jedoch sei das völlig anders. Dann ist es Fahrzeug mit mindestens einem Sitz ausgestattet und unterliege damit der Typgenehmigung in der Kategorie L1e-B „Moped“ und falle in der belgischen Straßenverkehrsordnung unter die „Mopedklasse A“. Das müsse man registrieren, ein Nummernschild beantragen, eine Versicherung abschließen, einen Motorradhelm zu tragen und mindestens einen AM-Führerschein besitzen. Für diesen müsse man mindestens 16 Jahre alt sein. 
Leva-EU bezeichnet es als unmöglich, dass die oben genannten E-Scooter die europäische Typgenehmigung für Mopeds und Motorräder erfüllen. Nur wenn der Sattel unter 54 Zentimeter hoch sei, müsse man die Typgenehmigung doch nicht erfüllen.
Mit dem Leichtmofa im Kraftverkehr
Ein weiteres, viel größeres Problem sieht Leva-EU darin, dass die meisten Mitgliedstaaten keine „Mopedklasse A“, wie Belgien, oder die Niederlande mit „Schnoriferei“ oder Deutschland mit „Leichtmofa“ haben. Alle Mopeds in der Klasse L1e-B-Mopeds werden in den Straßenverkehrsordnungen dieser Mitgliedstaaten als ein und dasselbe Fahrzeug behandelt. In den meisten Fällen ist es Mopeds nicht gestattet, Radwege zu benutzen. So landet das Federgewicht Zipper, Mpman oder Ecoscooter, das oft nicht einmal 25 km/h erreicht, zwischen Autos und Güterverkehr, die viel schneller fahren. Dadurch entstehen lebensbedrohliche Situationen. Dieses Problem tritt auch bei Speed-Pedelecs auf, von denen die meisten nicht 45 km/ h erreichen können, sondern eine Reisegeschwindigkeit von 30 bis 35 km/h haben. Das geht aus jüngsten Untersuchungen hervor, die vom flämischen Umweltministerium in Auftrag gegeben wurden. 
4,2 Millionen Todesfälle pro Jahr – Leva-EU fordert Abhilfe
Leva-EU hat vor kurzem die Präsidenten der Kommission, des Rates und des Parlaments dringend aufgefordert, die Verordnung 168/2013 rasch und grundlegend zu überarbeiten. Darüber hinaus hat LEVA-EU einen konkreten und praktischen Vorschlag entwickelt, wie die rechtlichen Engpässe durch Vorschriften für leichte Elektrofahrzeuge ersetzt werden können, die es dem Markt ermöglichen, sicher zu wachsen.
Leva-EU-Managerin Annick Roetynck ergänzt: „Im Green Deal und anderen europäischen politischen Instrumenten sind mehrere Milliarden Euro für die Ökologisierung der Mobilität vorgesehen. Die Verbesserung der Rechtsvorschriften für Elektroroller und andere leichte Elektrofahrzeuge ist eine Maßnahme, die praktisch kostenlos ist, dringend benötigt wird und garantiert Millionen, wenn nicht Milliarden von Euro generiert. Und doch setzt Europa diese Maßnahme weiterhin systematisch auf. Das ist inakzeptabel.“
Inzwischen hat die Kommission auf die Leva-EU-Anfrage geantwortet. Sie kündigt eine weitere Studie an, deren Ergebnisse im ersten Quartal 2021 veröffentlicht werden sollen. Erst dann könne eine Debatte über eine mögliche Überarbeitung der Verordnung 168/2013 aufgenommen werden. Sollte ein Vorschlag für eine Überprüfung vorgelegt werden, müsse dieser aber noch vom Rat und vom Parlament gebilligt werden. 
Annick Roetynck: „Das bedeutet, dass es noch mindestens fünf Jahre dauern könnte, bis unsere Branche Hoffnung schöpfen kann, die rechtlichen Engpässe zu beseitigen. Das ist völlig inakzeptabel. Mehr als 400.000 Menschen sind bisher an Covid-19 gestorben. Inzwischen sterben jedoch jedes Jahr 4,2 Millionen Menschen an Luftverschmutzung. Mobilität ist eindeutig ein wachsender Teil dieses Problems. Warum blockiert Europa die Öffnung des Marktes für leichte Elektrofahrzeuge? Warum ignoriert Europa weiterhin das Potenzial leichter Elektrofahrzeuge, die Mobilität nachhaltiger zu gestalten?“ Leva-EU bleibt dran.



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