Erstes Fazit 13.08.2025, 11:04 Uhr

Nach 100 Tagen: Lob und Kritik für Schwarz-Rot aus der Wirtschaft

Das Ifo/FAZ-Ökonomenpanel und der Handelsverband Deutschland (HDE) bewerten die ersten 100 Tage der schwarz-roten Koalition. Neben punktuellen Erfolgen sehen sie vor allem strukturelle Defizite und dringenden Handlungsbedarf.
Politik im Fokus: Friedrich Merz als Kanzler der aktuellen schwarz-roten Koalition.
(Quelle: Shutterstock / Ryan Nash Photography)
Am 6. Mai 2025 trat Friedrich Merz als Bundeskanzler einer schwarz-roten Koalition sein Amt an. 100 Tage später zieht das 52. Ökonomenpanel von Ifo und FAZ eine Zwischenbilanz. 170 VWL-Professorinnen und -Professoren bewerteten die bisherige Wirtschaftspolitik – das Ergebnis fällt gemischt bis kritisch aus.
Gesamturteil von 170 befragten Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zur bisherigen Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Bundesregierung.
Quelle: Ifo

Verhaltener Start mit punktuellen Erfolgen

30 Prozent der Befragten beurteilen die ersten 100 Tage als „eher negativ“, weitere 12 Prozent sogar als „sehr negativ“. Neutral sehen 32 Prozent die bisherigen Maßnahmen, während nur 25 Prozent eine eher positive Bilanz ziehen. Lob gibt es vor allem für höhere öffentliche Investitionen, zusätzliche Verteidigungsausgaben und den „Investitionsbooster“ durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten. Auch die angekündigte Körperschaftsteuersenkung wird positiv aufgenommen. „Die öffentliche Investitionsoffensive ist ein wichtiger Schritt, um den Standort zu sichern“, so eine Befragte. Kritik richtet sich dagegen auf die Ausweitung der Mütterrente, Änderungen an der Schuldenbremse und die Stromsteuersenkung ausschließlich für das verarbeitende Gewerbe. Auch der mangelnde Fortschritt beim Bürokratieabbau und beim Klimaschutz wird häufig genannt. „Es fehlt an strukturellen Reformen und einem Plan für die Wettbewerbsfähigkeit“, so ein weiterer Teilnehmer.

Einschätzung der befragten Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, wie stark sich die Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Koalition von der vorherigen Ampel-Regierung unterscheidet.
Quelle: Ifo


Handel mahnt Wirtschaftspolitik mit mehr Tempo an

Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht die Bundesregierung vor großen Aufgaben. HDE-Präsident Alexander von Preen vermisst den angekündigten wirtschaftspolitischen Aufbruch und fordert eine „schlagkräftige Agenda, die auf Entlastung, Investitionsanreize und fairen Wettbewerb setzt“.
„Die Bundesregierung ist mit dem klaren Anspruch angetreten, die Weichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland zu stellen. Jetzt muss schnell und spürbar geliefert werden“, so von Preen. Der Verband verweist auf die weiterhin angespannte Wirtschaftslage, verhaltene Konsumstimmung und strukturelle Standortprobleme.
Besonders dringlich aus Sicht des Handels: der Abbau von Bürokratie, etwa durch eine Vereinfachung der Lieferkettenregulierung. „Nach wie vor ist der Bürokratiedschungel viel zu dicht. Händler sollten sich den Großteil ihrer Zeit um den Warenhandel kümmern können und nicht hauptsächlich zudem oft auch noch nutzlose Formulare ausfüllen müssen. Insbesondere die ausufernde Lieferkettenregulierung erstickt kleine und mittlere Unternehmen und lähmt jede unternehmerische Initiative“, sagte der HDE-Präsident.
Auch die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen gegenüber Plattformen wie Temu oder Shein steht auf der Agenda. „Das Problem ist längst erkannt und die Maßnahmen liegen auf dem Tisch. Der Staat darf dem gesetzeswidrigen Treiben nicht mehr länger zusehen.“ Der Verband fordert unter anderem die Abschaffung der 150-Euro-Zollfreigrenze, die bessere digitale Vernetzung des Zolls in Europa und die Verpflichtung für Drittstaatenanbieter, einen haftbaren Wirtschaftspartner in der EU zu benennen.

Zudem verlangt der HDE die Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent, eine Senkung der Stromsteuer für alle Unternehmen sowie steuerliche Sonderabschreibungen für Investitionen in Innenstadtimmobilien, um der Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken. „Das würde für Planungssicherheit bei den Unternehmen sorgen und Arbeitsplätze dauerhaft sichern.“

Wenig Kurswechel gegenüber Ampel

39 Prozent der Befragten des Ökonomenpanels von Ifo und FAZ sehen „eher wenig“ Veränderungen im Vergleich zur vorherigen Ampel-Regierung, vier Prozent sogar „sehr wenig“. 41 Prozent erkennen deutliche Unterschiede – vor allem aufgrund der Erhöhung des Verteidigungsetats. In Steuer- und Sozialpolitik dominiert aus Sicht vieler ein „Weiter-so“. Die wirtschaftspolitische Kompetenz der Regierung wird überwiegend als mittel (53 Prozent) oder gering (31 Prozent) eingeschätzt. Lediglich 14 Prozent bescheinigen der Koalition eine „eher hohe“ Kompetenz. Kritik richtet sich auch hier an mangelndes Durchsetzungsvermögen und eine zu starke Ausrichtung an Interessen großer Unternehmen.
Einschätzung der befragten Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, wie stark sich die Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Koalition von der vorherigen Ampel-Regierung unterscheidet.
Quelle: Ifo

Kurzfristige Imulse, langfristige Zweifel

Kurzfristig erwarten 50 Prozent der Befragten positive Effekte auf die Konjunktur – vor allem durch den expansiven Fiskalimpuls. Mittelfristig fällt die Einschätzung zurückhaltender aus: 34 Prozent erwarten positive, 37 Prozent neutrale und 26 Prozent negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.Als Hauptproblem sehen viele das Fehlen struktureller Reformen. Stattdessen dominierten kurzfristige Ausgabenimpulse mit unklaren Perspektiven für Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität.

Hintergrund zur Befragung

Das Ifo/FAZ-Ökonomenpanel befragt mehrmals im Jahr VWL-Professorinnen und -Professoren zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen. Diese Befragung lief vom 29. Juli bis 5. August 2025, 170 Ökonominnen und Ökonomen nahmen teil. Ziel ist es, wissenschaftlich fundierte Einschätzungen zu gewinnen und Entwicklungen im Zeitverlauf zu dokumentieren.



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