Muli Cycles
20.08.2025, 15:32 Uhr
„Verantwortungsvolles Handeln bedeutet, mutig zu sein und voranzugehen“
Im Interview mit SAZbike erklärt Felix Schön, Head of Marketing bei Muli Cycles, warum Nachhaltigkeit keine Frage von Trends oder Konsumklima ist und wie das Projekt „EU-Muli“ den Weg zu einem fast komplett in Europa gefertigten Cargobike ebnete.
"Nachhaltigkeit ist fest in unserer Unternehmensstrategie verankert und wir werden dabei keine Kompromisse eingehen."
(Quelle: Muli Cycles)
SAZbike: Herr Schön, wie beobachten Sie allgemein die Nachhaltigkeitsinitiativen in der Fahrradindustrie. Was läuft gut? Was nicht so sehr?
Felix Schön: Da das Thema Nachhaltigkeit – insbesondere nachhaltige Produktion und Lieferketten – fest in unserer DNA verankert ist, beobachten wir den Markt in diesem Themenfeld intensiv. Auffällig ist, dass das Thema in den vergangenen Jahren von kaum einem Unternehmen der Bike-Branche unberührt geblieben ist.
Es gibt einige Beispiele einzelner Unternehmen, die einen mutigen und spannenden Weg eingeschlagen haben. Die Suche nach europäischen Produktionsstandorten – beispielsweise in Portugal – hat an Fahrt aufgenommen, und auch die Verwendung von recycelten Materialien wird zunehmend thematisiert.
Es gibt jedoch bereits jetzt ein großes Missverhältnis in der Fahrradbranche zwischen gelebter, fest in die Unternehmensphilosophie eingebetteter Nachhaltigkeitsstrategie einerseits und der inhaltsleeren Verwendung entsprechender Begriffe zu Marketingzwecken andererseits. Das ist aus meiner Sicht ein echtes Problem, da die Glaubwürdigkeit der Branche darunter leidet.
Made in Germany: Nur ein Marketing-Slogan?
SAZbike: Muli Cycles hat mit der Firmengründung im Jahr 2016 die Grundsatzentscheidung getroffen, alle Produkte lokal, fair und nachhaltig in Deutschland herzustellen – mit einer eigenen Fabrik in Köln. Wie bewerten Sie die Bemühungen vieler Fahrradfirmen, lokaler zu produzieren?
Schön: Viele Hersteller schreiben sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen – allein aufgrund der Tatsache, dass sie Fahrräder herstellen und somit eine emissionsfreie Mobilitätsform anbieten. Der Slogan „Made in Germany“ wird von vielen Unternehmen als Nachhaltigkeitssiegel verwendet, begründet sich in den meisten Fällen jedoch lediglich durch den letzten Schritt in der Produktionskette – die Neuradmontage.
Dass nahezu alle Teile, vom Rahmen über die Komponenten bis hin zum Zubehör, in Fernost hergestellt werden, wird dabei gerne übersehen oder als selbstverständlich betrachtet.
Die Bike-Branche muss sich daher definitiv mit dem Vorwurf der langen Lieferketten auseinandersetzen. Neben den Transportwegen kommt bei einer Produktion in Niedriglohnländern auch eine soziale Komponente hinzu, vor der die Augen nicht verschlossen werden dürfen.
Nachhaltigkeit als strategische Ausrichtung
SAZbike: Inwieweit haben das anhaltend gedämpfte Konsumklima und die schwierige Wirtschaftssituation in der Fahrradbranche dazu beigetragen, dass das Thema Nachhaltigkeit bei manchen Firmen in den Hintergrund gerückt ist?
Schön: Das lässt sich aus meiner Position heraus nur schwer beurteilen. Ich würde jedoch zunächst die Frage nach der Definition von Nachhaltigkeitsstrategien stellen: Sprechen wir hier über Investitionen in Solaranlagen, Mülltrennung und einen umweltfreundlichen Fuhrpark? Oder über einen ganzheitlichen Ansatz und eine strategische Ausrichtung, die das Problem an der Wurzel – also bei umweltfreundlicher Produktion und Materialeinsatz – bekämpft?
Letzteres bedingt aus meiner Sicht eine langfristige strategische Ausrichtung und sollte von kurzfristigen Schwankungen im Konsumklima eigentlich unberührt bleiben. Hier geht es um Verantwortung. In dem Moment, in dem ich als Unternehmen meine Investition in Nachhaltigkeit von den Marktbedingungen und dem momentanen Kaufverhalten abhängig mache, sind diese Initiativen doch bereits als leere Marketingversprechen enttarnt. Nachhaltigkeit muss tief in der Unternehmensphilosophie verankert sein und – um spürbare Veränderungen zu erreichen – einem ganzheitlichen Ansatz folgen.
Echte Nachhaltigkeit kurbelt Verkäufe an
SAZbike: Wie stark spüren Sie die Nachfrage nach nachhaltigeren Produkten von Händler- oder Kundenseite?
Schön: Unsere Entwicklung hin zu einem der größten Player in der Cargobike-Branche ist aus meiner Sicht eng mit unserem konsequenten Bekenntnis zu einer verantwortungsvollen und lokalen Produktion verknüpft. Natürlich haben wir auch ein starkes Produkt mit klaren Alleinstellungsmerkmalen.
Dennoch kann ich aus Erfahrung sagen, dass Kundinnen und Kunden Marken mit Haltung und gelebter Verantwortung schätzen und dies in ihre Kaufentscheidung einbeziehen. Nachhaltigkeit ist definitiv ein Alleinstellungsmerkmal für unsere Cargobikes und trägt somit zu einer positiven Markenwahrnehmung bei.
Wir haben in den letzten Jahren viele neue Marken und Modelle in allen Farben und Formen auf den Markt drängen sehen. Neben den vollen Lagern im Fachhandel wächst damit auch das Sortiment der Händler stetig. Dass wir – trotz gedämpftem Konsumklima – weiterhin unsere Ziele erreichen und mit unserer Unternehmung wachsen, ist sicherlich eine Bestätigung für unseren Weg.
Auch jeder Händler muss sicher der Verantwortung stellen
SAZbike: Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit Nachhaltigkeit im Handel mehr Gewicht bekommt?
Schön: Für uns als Hersteller ist es entscheidend, dass die Botschaft im stationären Fachhandel weitergegeben wird – und falsche Werbeversprechen idealerweise bereits bei der Sortimentszusammenstellung entlarvt werden. Wir sind in diesem Punkt abhängig vom Fachhandel und appellieren laut und deutlich an verantwortungsvolles Handeln. Genau wie jeder Hersteller muss sich auch jeder Händler dieser Verantwortung stellen.
Sollte ein Sortiment im Fachhandel wirklich alle Marken und Produkte abdecken? Benötigen wir dieses Überangebot? Man könnte argumentieren, dass die Entscheidung letztlich den Kundinnen und Kunden überlassen werden sollte – aus meiner Sicht ist das jedoch zu kurz gedacht. Auch Händler können Kaufentscheidungen beeinflussen, für das Thema sensibilisieren und damit wiederum Druck auf die Hersteller ausüben. Sobald Händler beginnen, nachhaltige Produktion als wichtiges Kriterium für den Verkauf von Produkten einzuordnen, werden Hersteller auf kurz oder lang reagieren müssen.
Unsere Forderung an den Fachhandel ist eindeutig: Nicht nur Funktion und Features eines Produkts in die Sortimentsauswahl und Verkaufsgespräche einbeziehen, sondern auch genau hinterfragen, unter welchen Bedingungen und wo ein Produkt hergestellt wird und welche Materialien dafür verwendet werden.
SAZbike: Welche Aufgaben sehen Sie wiederum bei den Herstellern?
Schön: Unsere Aufgabe als Hersteller ist es, dafür zu sorgen, dass unsere Message und unsere Story über faire und nachhaltige Produktion an den richtigen Stellen im Fachhandel ankommen. Das ist ehrlich gesagt keine leichte Aufgabe. Wir begegnen dieser Herausforderung, indem wir in unserer gesamten Kommunikation die Produktfeatures auf der einen und die Produktionsbedingungen auf der anderen Seite auf dieselbe Stufe stellen. Zudem haben wir mit der Muli Factory in Köln eine transparente, fast gläserne Produktion aufgebaut. Wir zeigen gerne, was wir tun und wie wir es tun, und machen unsere Produktion so sicht- und erlebbar.
Seriengefertigte Fahrräder komplett aus Europa
SAZbike: Zurück zu Muli Cycles: Wie sehen Ihre aktuellen und zukünftigen Nachhaltigkeitsbemühungen aus? Was sind Ihre nächsten Projekte?
Schön: Wie bereits erwähnt, ist das Thema Nachhaltigkeit fest in unserer Unternehmensstrategie verankert, und wir werden dabei keine Kompromisse eingehen. Wir haben mit der Muli Factory eine nachhaltige Produktionsstätte aufgebaut und fertigen unsere Rahmen mit innovativen Verfahren und hochmodernen Roboteranlagen in unserer eigenen Metallverarbeitung mitten in Köln. Dabei kommt zu 100 Prozent recycelter Stahl zum Einsatz, der in speziellen, von erneuerbaren Energien betriebenen Hochöfen verarbeitet wird.
An dieser Stelle im Produktionsprozess haben wir bereits einen sehr hohen umwelt- und sozialverträglichen Standard etabliert. Momentan beschäftigen wir uns intensiv mit unseren Komponenten. Auch hier stören uns die langen Lieferketten, und lange Zeit sind wir davon ausgegangen, dass es kaum Alternativen gibt.
Kann ein seriengefertigtes Fahrrad komplett in Europa entstehen? Mit dieser Frage haben wir vor etwa drei Jahren das Projekt „EU-Muli“ gestartet. In einem langwierigen Entwicklungsprozess begann die Suche nach lokal gefertigten Komponenten und Anbauteilen. Das Projekt stieß bei vielen Zulieferern auf offene Türen, und Stück für Stück konnte nicht nur das Puzzle zusammengefügt, sondern auch ein wichtiges Signal in die Branche gesendet werden: Verantwortungsvolles Handeln bedeutet, mutig zu sein und voranzugehen.
Aus einer Machbarkeitsstudie entwickelte sich schnell ein Entwicklungsprojekt für ein neues und einzigartiges Produkt: das Muli Motor EU. Tatsächlich ist es uns gelungen, unser Sortiment um ein Premium-Produkt zu erweitern, das nicht nur mit spannenden Komponenten glänzt, sondern dessen Anbauteile zu 90 Prozent in der Europäischen Union produziert werden.
Die Herkunft der Komponenten und Bauteile legen wir komplett transparent offen. Lediglich fünf der verbauten Teile entstehen außerhalb der EU – teils aus nachvollziehbaren Gründen, wie bei den Reifen und Schläuchen der Firma Schwalbe. Auch wenn wir die 100 Prozent nicht vollständig erreicht haben, sind wir sicher, ein wirtschaftliches Produkt unter höchsten sozial- und klimaverträglichen Standards entwickelt zu haben. Das Muli Motor EU ist derzeit wohl das fairste und nachhaltigste Cargobike der Welt und wurde auf der diesjährigen Cyclingworld in Düsseldorf als „Cargobike of the Year“ ausgezeichnet.
Das Projekt „EU-Muli“ endet jedoch keineswegs mit der Markteinführung des „Muli Motor EU“, sondern wird firmenintern als taktgebendes Zukunftsprojekt für die gesamte Produktfamilie angesehen. Wertvolle Erkenntnisse wurden bereits als „running change“ in die Serienproduktion anderer Modelle unseres Portfolios umgesetzt. Qualitativ ebenbürtige Komponenten werden fortlaufend implementiert, sofern sie höheren umwelt- und sozialverträglichen Produktionsbedingungen entsprechen.
SAZbike: Herr Schön, vielen Dank für das Gespräch.