E-Bike-Regularien 16.07.2025, 08:16 Uhr

Diese Regeln gelten nun in der Schweiz - und das bedeuten sie für Deutschland

Seit Juli gelten in der Schweiz neue Regeln für E-Bikes. Im Zentrum steht eine neue Klasse für schwere E-Cargobikes. Die neue Regelung betrifft auch deutsche Hersteller und Händler - und sie könnte Signalwirkung auf die europäische Debatte um E-Bike-Regulierung haben.
Der Schweizer Fahrradmarkt ist ganz besonders und hat eigene Marken wie den E-Bike-Pionier Flyer.
(Quelle: Flyer)
Seit dem 1. Juli 2025 gelten in der Schweiz neue rechtliche Rahmenbedingungen für E-Bikes. Besonders im Fokus stehen die neu definierte Klasse der "schweren Motorfahrräder" sowie die klarere Abgrenzung der S-Pedelecs als "schnelle Motorfahrräder". Das Schweizer Bundesamt für Strassen (ASTRA) reagiert damit auf die zunehmende Vielfalt elektrifizierter Fahrzeuge und deren unterschiedliche Einsatzprofile im Alltag und Gewerbe.
Die Schweiz nimmt im europäischen Vergleich eine Sonderrolle bei der Regulierung von S-Pedelecs ein: Anders als in vielen EU-Staaten sind schnelle E-Bikes dort weit verbreitet, besonders im Pendlerverkehr. Rund jedes zehnte in der Schweiz verkaufte E-Bike ist ein S-Pedelec – das ist europäische Spitze.
Diese Akzeptanz liegt auch an der konsequenten verkehrsrechtlichen Einbindung: S-Pedelecs dürfen in der Schweiz unter bestimmten Bedingungen Radwege benutzen, müssen aber je nach Kanton spezielle Vorschriften einhalten – etwa Beleuchtung, Rückspiegel oder spezielle Signalisation. Hinzu kommt eine hohe Dichte an E-Cargobikes, die im urbanen Bereich gezielt von Kommunen gefördert werden. Die neue Einteilung trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Schwere Motorfahrräder: Neue Klasse für zweispurige E-Cargo-Bikes

Die neu eingeführte Klasse "schwere Motorfahrräder" umfasst mehrspurige Fahrzeuge mit Tretunterstützung bis 25 km/h, einem Gesamtgewicht von bis zu 450 Kilogramm und einer Motorleistung bis 2 kW. Diese Fahrzeuge unterliegen einer Zulassungspflicht sowie der Führerausweispflicht der Kategorie M. Ziel ist es, besonders leistungsstarke Lastenräder im gewerblichen Einsatz wie kommunale Dienste, Lieferverkehr oder Pflegeeinsätze rechtlich zu erfassen. Die Kategorie betrifft nicht die S-Pedelecs.
Tim Salatzki, Leiter für Technik und Normung des deutschen Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) betont: „Nicht jedes elektrisch unterstützte Fahrzeug ist gleich – insbesondere im gewerblichen oder lastenbezogenen Einsatz.“ Die neue Kategorie „schwere Motorfahrräder“ sei eine sachgerechte Antwort auf ein wachsendes Marktsegment.

Schnelle Motorfahrräder: Definition der S-Pedelecs geschärft

Die bereits bestehende Klasse "schnelle Motorfahrräder" wurde präzisiert: S-Pedelecs mit Tretunterstützung bis 45 km/h, Motorleistung bis 1 kW und maximalem Gewicht von 200 Kilogramm fallen in diese Kategorie. Zulassungspflicht, Kontrollschild sowie Führerausweis Kategorie M ab 14 Jahren sind verpflichtend.
Diese Fahrzeuge bleiben einspurig und werden im Verkehr grundsätzlich wie Fahrräder behandelt, mit Ausnahmen. So ist etwa die Nutzung von Radwegen nur eingeschränkt möglich und variiert je nach Kanton. Auch die Pflicht zur Tragung eines geeigneten Helms sowie technische Anforderungen wie Rückspiegel und Beleuchtung gelten verbindlich.

Differenzierung statt Pauschalisierung

Ernst Brust, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Mikromobilität, begrüßt die Schweizer Regelung als sachlich sinnvoll. Sie bilde eine notwendige Grundlage für den rechtlichen Umgang mit leistungsstarken E-Fahrzeugen.
Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) unterstützt diesen Ansatz. Technikchef Tim Salatzki erklärt: „Eine pauschale Regelung würde entweder zu Überregulierung bei Alltagsrädern führen – oder zu Unterregulierung bei schweren, leistungsstarken Cargobikes.“

EU-Relevanz: Die Schweiz als Vorbild?

Hersteller und Händler, die den Schweizer Markt bedienen, müssen ihre Modelle gegebenenfalls neu klassifizieren, technische Dokumentationen anpassen und Konformitätsbewertungen aktualisieren. Die Grenze von 250 W, wie sie in der EU für EPACs gilt, ist in der Schweiz für S-Pedelecs auf 1 kW angehoben.
Die neue Systematik könnte Signalwirkung für eine mögliche Überarbeitung der EPAC-Verordnung in der EU entfalten. Durch die differenzierte Betrachtung verschiedener E-Bike-Typen und Einsatzfelder will die Schweiz eine rechtlich klare und sicherheitsorientierte Grundlage schaffen, die auch für andere Länder Modellcharakter haben könnte.
„Die Schweizer Regelung ist ein gutes Beispiel“, sagt Salatzki, „sie schafft mit der neuen Kategorie ‚schwere Motorfahrräder‘ einen klar umrissenen Rahmen für mehrspurige Fahrzeuge bis 450 Kilogramm Gesamtgewicht und 2 kW Motorleistung – mit Zulassungspflicht, aber weiterhin gemäßigten Anforderungen.“

Deutsche Diskussion um E-Bike-Regulierung

Trotz breiter Zustimmung gibt es auch kritische Stimmen: Die Branchenvertretung Leva-EU warnt vor einer Überregulierung und sieht in den Forderungen des ZIV einen Versuch, dynamische Hersteller – insbesondere aus Asien – vom europäischen Markt auszuschließen. Eine zu strenge Regulierung könnte laut Leva-EU Innovation hemmen und den Marktzugang für neue Anbieter erschweren.
Auch aus der Wissenschaft gibt es Mahnungen: Forscher fordern, technische Regeln stärker am tatsächlichen Nutzungsverhalten auszurichten, statt einseitig auf Antrieb und Leistung zu fokussieren. Sie befürchten, dass pauschale Leistungsgrenzen den praktischen Nutzen von E-Bikes im urbanen Umfeld unnötig einschränken.
Der Radlogistik Verband Deutschland (RLVD) wiederum fordert, schwere Lastenräder mit einem Gewicht bis 300 Kilogramm weiterhin als Fahrräder zu behandeln – vor allem wenn sie im Logistik- oder Lieferdienstbereich eingesetzt werden. Eine zu frühe Entfremdung vom Fahrradstatus könne das wirtschaftliche Potenzial und die klimapolitische Bedeutung dieser Fahrzeuge gefährden.
Auch Fachjuristen und der ADFC verweisen auf bestehende Inkonsistenzen im europäischen Rechtsrahmen. Während auf UNECE-Ebene über einheitliche technische Anforderungen beraten wird, divergieren nationale Regelungen teils erheblich. Eine Harmonisierung müsse laut ADFC Innovation ermöglichen, ohne Sicherheit und Verbraucherschutz zu vernachlässigen.
Die Diskussion um die EPAC-Definition bleibt dynamisch. Der ZIV fordert, die Begrenzung auf 250 Watt Antriebsleistung zu überdenken – sie sei historisch gewachsen, aber technisch überholt. Neue Fahrzeugtypen, etwa dreirädrige Cargobikes oder kraftvolle Kompakträder, benötigen angepasste Rahmenbedingungen.
Der Diskurs zeigt: Eine sachlich fundierte, nutzungsorientierte Regulierung ist entscheidend. Die Schweiz liefert hierfür einen Ansatz – aber keine Blaupause, die sich eins zu eins auf andere Länder übertragen lässt.


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