Potenziale im Radmarkt
09.05.2025, 15:08 Uhr
Markt mit Lücke: Frauen und ihre unterschätzte Rolle im Fahrradsektor
Frauen fahren seltener als Männer Rad – vor allem in der Freizeit und im Sport. Eine neue Studie zeigt Ursachen und Marktpotenziale. Expertin Isabell Eberlein nennt konkrete Hebel für Handel und Industrie.
Vielseitigkeit und Sichtbarkeit im Radsport: Frauen auf dem Rennrad – eine Chance für mehr Vielfalt und Wachstum in der Branche.
(Quelle: Linexo (Wertgarantie))
Frauen nutzen das Fahrrad im Alltag ähnlich häufig wie Männer – doch beim Sport und in der Freizeit zeigen sich deutliche Unterschiede. Das geht aus einer aktuellen, bevölkerungsrepräsentativen Befragung des Fahrradversicherers Linexo by Wertgarantie in Kooperation mit Statista hervor. Von über 5.000 befragten Rad- und E-Bike-Besitzenden in Deutschland (ab 18 Jahren) gaben nur 19,8 Prozent der Frauen an, regelmäßig zum Sport aufs Fahrrad zu steigen. Bei den Männern lag der Anteil mit 26,8 Prozent deutlich höher.
Auch bei Freizeitausfahrten zeigt sich ein geschlechtsspezifisches Gefälle: Nur 26,3 Prozent der Frauen fahren regelmäßig in der Freizeit Rad – verglichen mit 34,3 Prozent der Männer. Besonders auffällig: 40,9 Prozent der Frauen haben laut Studie noch nie eine Radreise gemacht.
Was Frauen vom Radfahren abhält
Mobilitätsexpertin Isabell Eberlein, die auch die Initiative Women in Cycling mitbegründet hat, sieht darin ein strukturelles Problem: „Viele Frauen haben Interesse am Fahrrad, aber es fehlen die passenden Angebote, Vorbilder und das soziale Umfeld.“ Gerade im leistungsorientierten Bereich sei der Einstieg erschwert – durch Zeitmangel, fehlende Peer-Groups oder mangelnde Teilnahmemöglichkeiten.
Eberlein schildert eindrücklich: „Es braucht nicht nur Motivation, sondern auch eine Community, in der Frauen sich willkommen fühlen. Und Strukturen, die sie einbeziehen – von Kindheit an.“
E-Bike und Gravelbike als Zugang
Ein Lichtblick zeigt sich beim E-Bike: Hier ist der Unterschied in der Nutzung zwischen den Geschlechtern kleiner. Die elektrische Unterstützung erleichtert vielen Frauen den Einstieg – sei es im Alltag oder bei längeren Touren. Dennoch liegt der Anteil weiblicher E-Bike-Besitzender bei nur 43 Prozenz.
Auch das Gravelbike – die sportliche Mischung aus Rennrad und Mountainbike – empfindet Eberlein als „niedrigschwellig“, da es vielseitig einsetzbar ist und somit vielen Frauen einen unkomplizierten Zugang zum Radfahren ermöglicht, insbesondere abseits des leistungsorientierten Radsports.
Sichtbarkeit als Schlüssel
Ein zentrales Problem: fehlende Sichtbarkeit weiblicher Radfahrerinnen in Werbung, Medien und Fachhandel. „In Kampagnen sehen wir häufig Männer mit hochwertigen Fahrrädern. Frauen werden nicht gezielt angesprochen, obwohl sie ein wichtiger Teil des Marktes sein könnten“, so Eberlein. Diese mangelnde Ansprache setze sich im stationären Handel fort: Auswahl, Beratung und Präsenz seien oft männlich dominiert.
Dabei betont sie: „Wenn Frauen nicht sichtbar sind, fühlen sie sich nicht gemeint – und kaufen auch nicht.“ Für Händler und Hersteller ergibt sich daraus eine klare Handlungsaufforderung: Wer Produkte, Kommunikation und Verkaufspersonal auf Diversität ausrichtet, erschließt neue Kundengruppen.
Radsport: Strukturell männlich geprägt
Im professionellen Radsport sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert – sowohl strukturell als auch medial. Isabell Eberlein verweist darauf, dass Frauen erst seit 2022 bei der Tour de France Femmes starten dürfen. Zuvor waren sie dort lediglich als sogenannte Podiumsgirls präsent. Solche Entwicklungen zeigen, wie spät gleichberechtigter Zugang überhaupt eröffnet wurde.
Auch in der medialen Aufmerksamkeit zeigen sich klare Unterschiede. Als etwa der slowenische Fahrer Tadej Pogačar 2024 die Strade Bianche gewann, wurde er vielfach als erster amtierender Weltmeister hervorgehoben, der dieses Rennen für sich entschieden habe. Dabei hatte die belgische Weltmeisterin Lotte Kopecky genau dieses Kunststück bereits ein Jahr zuvor im Frauenrennen vollbracht – ihr Erfolg fand jedoch deutlich weniger mediale Beachtung.
Solche Beispiele stehen nicht allein. Studien zeigen, dass Männer tendenziell häufiger Männerwettbewerbe konsumieren und sich eher mit gleichgeschlechtlichen Profisportlern identifizieren. Frauen sind in ihrer Rezeption zwar offener gegenüber beiden Geschlechtern, dominieren als Zuschauergruppe aber seltener. Diese geschlechtsspezifische Zuschauerpräferenz wirkt sich auf Medienpräsenz, Sponsoringentscheidungen und das Interesse von Veranstaltern aus – und verstärkt somit die strukturelle Ungleichheit.
Mehr Sichtbarkeit weiblicher Vorbilder könnte helfen, diese Dynamik aufzubrechen. Auch gezielte Förderung, geschlechtergerechte Berichterstattung und strategisches Umdenken in der Industrie sind notwendig, um den Frauenradsport gleichwertig zu etablieren.
Eberlein betont: „Erfolge von Frauen im Radsport dürfen nicht unter den Tisch fallen – weder in der Berichterstattung noch in der Wahrnehmung durch die Industrie.“
Fehlt diese Sichtbarkeit, hat das weitreichende Folgen – entlang der gesamten Wertschöpfungskette: von Medienresonanz und Sponsoreninteresse bis hin zur Nachwuchsförderung und Fanbasis. Wer nicht sichtbar ist, inspiriert weniger und findet seltener statt – ein Kreislauf, den es gezielt zu durchbrechen gilt.