Neue Norm für Lastenräder: Meilenstein für die Sicherheit

Am 14. Juli 2024 hat das Europäische Komitee für Normung (CEN) drei Teile der neuen Sicherheitsnorm EN 17860 für Lastenräder ratifiziert. Damit erhält die Cargobike-Branche erstmals einen umfassenden europäischen Standard, der weit über die bisherige DIN 79010 hinausgeht.

„Es ist ein wenig wie der 18. Geburtstag der Cargobike-Branche“, freute sich Arne Behrensen, Senior Expert Transportwende bei Zukunft Fahrrad, bei einer Veranstaltung dazu auf der Eurobike am 25. Juni. „80 Leute aus der Branche haben an dem siebenteiligen Standard etwa fünf Jahre gearbeitet."

Die Norm EN 17860 wurde von der Arbeitsgruppe CEN/TC 333/WG 9 entwickelt und umfasst unter anderem:

Die Norm fordert spezifische Anforderungen für das Sitzrohr und die Vorderradgabel. Ein zentrales Element ist die dynamische Prüfung der Bremshalterungen. Die Lenkfunktion wird besonders intensiv geprüft. Die Norm enthält erstmals spezifische Anforderungen für indirekte Lenksysteme, wie sie bei vielen modernen Cargobikes zum Einsatz kommen. 

In früheren Tests zeigten sich bei solchen Systemen unsichere oder unklare Reaktionen im Lenkverhalten. EN 17860 adressiert diese Schwächen mit neuen Prüfmethoden und fordert eine definierte Steifigkeit der Lenkung, um ein präzises und sicheres Fahrverhalten zu gewährleisten.

„Ein zentrales Problem bei indirekt gelenkten Lastenrädern ist das Fahrverhalten unter voller Beladung. Sie lassen sich oft extrem schwierig steuern", sagt Marcus Schröder, Geschäftsführer des deutschen Fahrradprüfers EFBE.

Die EN 17860 stellt auch beim Transport von Personen klare und verbindliche Anforderungen. Hersteller müssen sicherstellen, dass keine scharfen Kanten vorhanden sind, an denen sich Mitfahrende verletzen könnten. Ebenso sind Konstruktionen zu vermeiden, bei denen sich Körperteile einklemmen lassen oder Kleinteile verschluckt oder eingeatmet werden könnten. Darüber hinaus müssen chemische und thermische Gefährdungen ausgeschlossen werden.

Ergänzend dazu definiert die Norm ergonomische Mindestanforderungen für Sitzpositionen und Einstiege, regelt die sichere Integration von Anschnallsystemen und legt Kriterien für die Aufnahme von Babyschalen und Kindersitzen fest.

Neben mechanischer Sicherheit legt EN 17860 großen Wert auf elektrische Sicherheit. Batterien, Ladegeräte und elektrische Komponenten müssen Prüfungen bestehen.

Zusätzlich sieht die EN 17860 einen übergreifenden Test vor, der die Gesamtbelastbarkeit des Rades bewertet. Dabei werden alle sicherheitsrelevanten Komponenten – von Rahmen über Lenksystem bis zu Bremsen – unter kombinierter Belastung mit einem schweren Gewicht in der Ladezone getestet.

Der niederländische Lastenradhersteller Cargo Cycling setzt die neuen EN-Anforderungen bereits in die Praxis um. Das Unternehmen testet und produziert schwere, mehrspurige Lastenräder, die den Vorgaben der EN 17860 entsprechen – und war aktiv an der Entwicklung der Norm beteiligt. Die normkonformen Lastenräder sind in der Praxis besonders robust.

„Die Wartungskosten von 1.000 Euro pro Monat auf nur noch 200 Euro pro Jahr gesunken, seit wir mit Cargo Cycling zusammenarbeiten", so der belgische DHL-Flottenmanager Steven van den Bosch.

Obwohl die ersten drei Teile der Norm erst im März 2025 offiziell veröffentlicht werden, können sie bereits jetzt als Referenz für Produktentwicklung und Qualitätssicherung herangezogen werden. In Deutschland ist die Norm über das DIN-Institut erhältlich. Die Teile 4 bis 7 befinden sich noch im Genehmigungsprozess und sollen im September 2025 veröffentlicht werden.

Mit EN 17860 erhält die Cargobike-Branche ein robustes, differenziertes und zukunftsorientiertes Regelwerk. Die Norm stärkt nicht nur die Produktsicherheit, sondern schafft auch Vertrauen bei Kommunen, Unternehmen und Endkunden. 

Für Hersteller und Händler bedeutet das: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Prozesse und Produkte an die neuen Anforderungen anzupassen. Das EN-Komitee lädt Handel, Hersteller und Gesetzgeber außerdem zur Weiterentwicklung des Standards ein. Der einfachste Weg dazu führt über die nationalen Standardisierungsorganisationen, wie in Deutschland etwa dem DIN.

„Jetzt hat die Branche endlich ihren eigenen europäischen Sicherheitsstandard, der wesentlich mehr Bereiche abdeckt als die bereits bestehende DIN 79010 – und der die oft medial aufgebauschte Sicherheitsdebatte bei Lastenrädern enorm versachlichen kann", so Transport-Experte Behrensen.