Gipfeltreffen in München 04.10.2021, 09:38 Uhr

Fahrradmanager diskutierten beim World Cycling Forum die Zukunft der Branche

Am zweiten Septemberwochenende fand in München das World Cycling Forum statt. Der Veranstalter, der Weltverband der Sportgerätehersteller WFSGI, lud führende Köpfe der Fahrradbranche zur Diskussion, wie man den aktuellen Fahrradboom am besten nutzen kann.
Bob Margevicius
(Quelle: WFSGI)
Parallel zur IAA Mobility befassten sich einige Fachreferenten mit den Geschäftsmöglichkeiten im kommenden Jahr, etwa dem Online-Fahrradmarkt, dem Umfeld des Einzelhandels im Wandel, verändertem Verbraucherverhalten als Folge der Covid-19-Beschränkungen, Regierungsinitiativen zur Förderung des Radverkehrs und potenziellen neuen Märkte für die Fahrradindustrie. 
„Ich hätte nie gedacht, dass es diese Kombination von Autos und Fahrrädern auf einer Messe geben würde“, sagte Thorsten Heckrath-Rose, Inhaber von Rose Bikes, bei der Eröffnung des diesjährigen World Cycling Forum. Seine Aussage steht stellvertretend für die Entwicklungen, die der Markt seit Beginn der Pandemie erlebt hat, darunter die erstmalige Zusammenführung von Autos und Fahrrädern auf einer internationalen Automobilmesse, der IAA Mobility in München.
Rose betont Vorteile des stationären Verkaufs
„Im Internet gibt es keine Einschränkungen“, so Heckrath-Rose weiter. „Es werden sogar Autos online verkauft, obwohl diese viel komplexer sind als Fahrräder. Man muss nur die richtige Präsentation und das richtige Nutzererlebnis finden.“ Das Unternehmen, das 80 Prozent seines Umsatzes online und 20 Prozent in seinem Geschäft Rose Biketown in Bocholt erwirtschaftet, hat kürzlich beschlossen, zusammen mit einigen Partnern zehn weitere Standorte auf seinem Heimatmarkt und einen in der Schweiz zu eröffnen. „Man muss zu den Kunden gehen und den Produkten im Laden Raum geben, um zu glänzen. Unsere Läden sind keine Frage der Größe, es geht darum, wie man mit den Kunden in Kontakt kommt.“
Während Rose-Inhaber Thorsten Heckrath einen starken Fokus auf die emotionale Ansprache legt, betonte Internetstores-CBO Frank Aldorf die Relevanz von Daten beim Übergang zum Online-Handel. Internetstores ist heute eine führende digitalisierte Handelsgruppe für Bike und Outdoor und betreibt 40 Online-Shops in 15 Ländern. „Bei Digital First geht es nicht um Technologie, sondern um alle geschäftlichen Aspekte. Für Internetstores sind Daten König, während das Herz regiert. Wir sehen, dass zu viele Unternehmen am Alten festhalten", sagt Frank Aldorf. „Es ist der Verbraucher, der entscheidet, siehe die Pandemie. Wir müssen uns engagieren, nicht um mehr zu verkaufen, sondern um Kontakte herzustellen und zu pflegen. Dies bietet uns die Möglichkeit, Daten über unsere Kundendatenplattform in wertvolle Informationen zu verwandeln.“
Internetstores sieht einzigartige Vorteile in der Fahrradbranche
Philipp Rossner, CSO bei Signa Sports United, Eigentümer von Internetstores sowie einer Reihe von Online-Shops in verschiedenen Märkten, ging noch einen Schritt weiter: „Ich hatte erwartet, dass die Fahrradbranche in der heutigen Boom-Phase eine optimistischere Haltung einnehmen würde. Sie haben einige Schlüsselmerkmale, die einzigartig sind und Wachstumszahlen bringen werden, die es in dieser Branche noch nie gegeben hat.“ Rossner verwies auf zwei Elemente. Erstens die Konnektivität. „Die Sportmodebranche kann keine Chips in die Kleidung integrieren, um die sportliche Aktivität zu messen. In der Fahrradindustrie ist das weithin verfügbar. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, vor allem für den Sportmarkt, aber auch für Fahrräder des täglichen Gebrauchs. Der zweite wichtige Wachstumsaspekt sind die angekündigten Investitionen in die Infrastruktur im Rahmen des EU Green Deal. Man darf nicht vergessen, dass sich der Markt für Sportprodukte in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch verändert hat. In der Vergangenheit trieben die Menschen Sport, um sich zu messen und zu gewinnen. Jetzt wollen immer mehr Menschen aktiv sein, weil sie gesünder leben und länger leben wollen. Dies erfordert einen anderen Marktansatz. Der Online-Markt hat sich in diesem Jahr drastisch verändert. Im Jahr 2020 haben wir etwa 300.000 Fahrräder und E-Bikes verkauft. Für dieses Jahr rechnen wir mit 400.000 Stück. Auch die unabhängigen Fahrradhändler sehen, dass der Online-Verkauf mehr bringt als der reine Offline-Verkauf.“
Die Ankündigung von Harley Davidson, in den E-Bike-Markt einzusteigen, sorgte vor einigen Jahren für Aufregung in der Fahrradbranche. War dies ein ernsthafter Schritt der amerikanischen Motorradmarke? Wie Jason Huntsman, Präsident der Serial 1 Company by Harley Davidson, mitteilte, arbeitet Serial 1, das von Harley Davidson für sein E-Bike-Projekt gegründete Unternehmen, nach einem ersten Start in Deutschland bereits mit 130 Händlern in Europa zusammen. „Der Einstieg in den Fahrradmarkt ist schwierig. Wir sehen E-Bikes als eine Erweiterung unseres regulären Motorradgeschäfts in den Markt der E-Mobilität. Es ist eine große Herausforderung für uns, in eine angrenzende Branche einzusteigen.“
Europas Großstädte stellen um auf Radverkehr
Der Fahrradboom im Vereinigten Königreich und insbesondere in London während der Pandemie war auffällig. Die Verkehrsbehinderungen im Londoner Stadtgebiet waren ein viel diskutiertes Thema und führten zum Entstehen zahlreicher neuer Initiativen. Eine davon, die Kampagne „Bike Is Best“, wird von der Industrie finanziert und soll der britischen Öffentlichkeit die Vorteile des Radfahrens vermitteln. Der Gründer und CEO von Fusion Media, Adam Tranter, erläuterte seinen Ansatz gegenüber der Branche und dem privaten Sektor, um dieses Ziel zu erreichen. „London erlebte den höchsten Radverkehrsanteil seit den sechziger Jahren“, sagte Adam Tranter. „Eine unserer Aktivitäten war die Gründung des ,Cycling Marketing Board‘, da wir weiterhin neue Verbraucher für den Radsport gewinnen und das Image des Radsports bei der Regierung und in den Medien langfristig verbessern müssen, um die Verkehrsverlagerung zu erreichen.“
Auf europäischer Ebene verfolgt der Industrieverband Cycling Industries Europe (CIE) einen ähnlichen Ansatz. Er wurde als einheitliche Stimme der Unternehmen gegründet, um den Radsport in Europa zum Nutzen der Gesellschaft zu fördern. „Zurzeit haben wir 93 Mitglieder, von denen 40 Prozent in der Produktion und im Einzelhandel tätig sind, während 60 Prozent Dienstleistungsunternehmen sind“, sagte Tony Grimaldi, CEO des Fahrradkonzerns und Bianchi-Inhabers Cycleurope und Präsident von CIE. „Auf europäischer Ebene arbeiten wir daran, den Zugang zu Fahrrädern und zum Radfahren im Allgemeinen zu erleichtern.“
Kristina Jasiunaite, Geschäftsführerin von World Bicycle Relief Europe (WBR), sprach über die Förderung des Radfahrens und die Zugänglichkeit von Fahrrädern auf globaler Ebene. Im Laufe der Jahre hat WBR fast 600.000 Fahrräder bereitgestellt, die speziell für bedürftige Menschen, insbesondere in Ländern südlich der Sahara, entworfen und vor Ort zusammengebaut wurden. „Das Fahrrad verbessert eine Reihe von sozioökonomischen Umständen und verringert Armut und Hunger, es erleichtert den Zugang zu Bildung und sauberem Wasser“, erklärt Jasiunaite, „und es trägt direkt zur Erreichung von neun Nachhaltigkeitszielen der UN-Entwicklungsagenda bei.“
„Für Canyon-Gründer Roman Arnold war seine Position als Zwischenhändler und das Feedback seiner Kunden an die Fahrradhersteller der Hauptgrund, sein eigenes B2C-Unternehmen zu gründen“, erklärt Simon Summerscales, Marketing- und Markenmanager bei Canyon Bicycles. „Roman nannte es die ,Feedback-Schleife‘ und er entwickelte Canyon nicht nur als Direktvertrieb, sondern auch als direktes Kommunikationssystem. Der Online-Handel hat einen großen Vorteil gegenüber dem Offline-Handel: Er liefert Ihnen die Daten von Kombinationen von Produktsuchen. Die Antizipation von Bedürfnissen ist ein großartiges Beispiel für datengestütztes Verständnis von Bedürfnissen und KI und maschinelles Lernen. In welcher Reihenfolge werden welche Fahrräder am häufigsten gesucht? Diese Informationen geben uns die Möglichkeit, dem Kunden ein nahtloses Erlebnis auf seiner Reise zu bieten.“ Die Kombination aus dem World Cycling Forum und der IAA Mobility veranlasste Simon Summerscales zu der Aussage: „Dies ist der ,Bauch der Bestie‘: Wir sind hier, um der Automobilindustrie zu sagen, dass Fahrräder eine bessere Lösung sind.“
Pon betont Vorteile gegenüber Autoindustrie
„Wie stellen wir sicher, dass die Fahrradindustrie für die aufstrebenden Märkte bereit ist?“, fragte Raymond Gense, Director of Public Affairs der Pon Holding, das Publikum des WCF-2021. „Niemand weiß, ob der prognostizierte Absatz von 30 Millionen Fahrrädern in Europa bis 2030 realistisch ist. Was ich weiß, ist, dass diese Branche mehr Investitionen und Unterstützung aus Brüssel braucht. Auf europäischer Ebene müssen wir mit der Automobilindustrie konkurrieren. Die Fahrradindustrie hat einen großen Wettbewerbsvorteil: Wir schaffen Arbeitsplätze, während die Autoindustrie nur Leute entlässt. Und unsere Branche ist sehr innovativ; E-Bikes verfügen über viele Technologien, die aus der Autoindustrie bekannt sind oder bald verfügbar sein werden. Die Welt der Mobilität verändert sich in Richtung Multimodalität, und es ist unvermeidlich, dass das Fahrrad in diesem System eine wichtige Rolle spielen wird. Diese neue Mobilität erfordert jedoch neue Messgrößen wie Demografie, Infrastruktur, Nutzerpräferenzen, Umweltauswirkungen, Industriekapazitäten, Beschäftigung und Regierungspolitik.“
Die Fahrradproduktion sollte nachhaltiger werden
Am Eröffnungstag des WCF erklärte Rose-Eigentümer Thorsten Heckrath bereits, dass die Branche über eine nachhaltige Herstellung diskutieren müsse, da die Nutzung des Produkts zwar grün sei, die Produktion jedoch nicht. Der Hauptredner Erik Bronsvoort ging auf dieses Thema ein, indem er seine Studie darüber vorstellte, wie man eine zirkuläre Revolution in Gang setzen kann. „Das Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft wird erst langsam von der Fahrradindustrie aufgegriffen“, sagte van Bronsvoort. „Um von einer linearen zu einer kreislauforientierten Fahrradwirtschaft zu gelangen, muss sich die gesamte Branche verändern. Die Veröffentlichung des Nachhaltigkeitsberichts von Trek ist nur der Anfang, aber sie macht deutlich, wo die Probleme liegen.“
Porsche Consulting hat in seiner Analyse des zukünftigen Mobilitätsmarktes vier Megatrends herausgearbeitet: Wachstum der individuellen Mikromobilität, multifunktionale und zweckgebundene Mobilität, Dynamisierung der Mobilitätspreise und integrierte Mobilität und schließlich Mobilität mit System und in Echtzeit.
Porsche analysierte auch, wie Bosch der erfolgreiche Einstieg in den E-Bike-Markt gelungen ist. „Das Unternehmen startete sein E-Bike-Geschäft mit dem Fokus auf Mittelmotoren im Jahr 2009, während die OEM-Wettbewerber erst 2014 mit der Serienproduktion begannen“, sagte Nicolas Grimm, Senior Manager bei Porsche Consulting. Grimm meint: „Der Branchenprimus Bosch hat bereits 2010 erste Komponenten für Elektrofahrräder auf den Markt gebracht, war aber in der Anfangszeit nicht erfolgreich. Bosch verfügt als erfahrener OEM über Know-how aus den Akku-Technologien für Elektrowerkzeuge und aus dem Automobilbereich. Heute gibt es deutliche Ähnlichkeiten zwischen Automobil- und E-Bike-Herstellern, einschließlich Innovationen, Lieferkette und Vertrieb. Heute hält Bosch am Zwischenhandel fest, aber in Zukunft wird das Unternehmen direkt zum Verbraucher gehen.“



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