
Faire Vergütung oder Bumerangeffekt? - Überführungsgebühren polarisieren die Fahrradbranche
Lieber SAZbike Leser,
Leasing war der Turbo der Fahrradbranche - doch der Motor stottert. Besonders die Zusammenarbeit zwischen Leasing-Anbietern und Fachhandel hakt.
Auf dem SAZbike Prolog in Dreieich und der Eurobike in Frankfurt habe ich zwei Panels dazu moderiert: viel Verständnis, keine Einigung.
Jetzt zündet der VSF die Debatte: Überführungskosten pro Rad - wie im Autohaus. Rettet das die Servicequalität und die Händlerexistenz? Oder bremst es Dienstrad-Leasing mit zusätzlichem Preisballast aus?
Klar ist nur: Wir müssen weiterreden. In diesem Premium-Newsletter ordnen wir die Interessen, Zahlen und Folgen ein - ohne Scheuklappen.
Viele Grüße
Alexander Schmitz

Alexander Schmitz
Chefredakteur SAZbike
Hintergrund & Anlass

Der Verbund Service und Fahrrad (VSF) sieht den Fachhandel mit stark veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. In den Bereichen Transport, Finanzierung, Versicherung und Bereitstellung haben sich in den vergangenen Jahren tiefgreifende, teils existenzbedrohende Veränderungen ergeben - besonders für kleine und mittlere, serviceorientierte Betriebe.
Viele Leistungen - etwa Vorbereitung, Montage, Auslieferung oder die Bearbeitung von Leasing- und Versicherungsfällen - bleiben unvergütet. Diese Abwicklung kostet Betriebe inzwischen erhebliche unbezahlte Arbeitszeit und zwingt sie, eigenes Personal nur für diese Aufgaben einzusetzen. Hinzu kommen neue Provisionsmodelle, Akquise-Beteiligungen sowie Verluste durch unvollständige Lieferanteninformationen und schwankende Vormontagequalität.
VSF-Geschäftsführer Uwe Wöll bringt die Sorgen vieler Händlerinnen und Händler auf den Punkt:
"Die aktuelle Entwicklung führt schon jetzt zu wirtschaftlichen Problemen. Es braucht endlich eine faire, transparente und betriebswirtschaftlich tragfähige Lösung für den stationären, service- und qualitätsorientierten Fachhandel."
Der VSF schlägt deshalb vor, Überführungskosten - wie im Autohandel - als standardisierte Gebühr einzuführen. Diese soll Zusatzleistungen absichern und den Fachhandel stärken. Über die genaue Ausgestaltung wird noch diskutiert, doch der Grundgedanke ist klar: mehr Fairness und betriebswirtschaftliche Nachhaltigkeit in einem schwieriger werdenden Markt.


Was ist geplant?
Nach dem Vorschlag des VSF sollen Überführungskosten als pauschale Gebühr für die abschließende Bereitstellung jedes Fahrrads eingeführt werden. Sie umfasst Leistungen wie Endmontage, Kontrolle, Feineinstellung und Übergabe an den Kunden.
Im Autohandel längst üblich (zwischen 500 und 900 Euro pro Fahrzeug, separat ausgewiesen), bleiben diese Arbeiten im Fahrradhandel meist unvergütet. Im Leasing-Fall ist die Situation allerdings komplex: Überführungskosten dürfen nicht in die Leasing-Rate eingerechnet werden. Das bedeutet, dass am Ende der Arbeitgeber als Leasing-Nehmer zur Kasse gebeten würde.

Pro und Contra: Stimmen aus der Branche
Auf LinkedIn entfachte die Initiative eine lebhafte Diskussion - sowohl unter dem Post des VSF als auch unter einem Kommentar von Sören Hirsch (Linexo by Wertgarantie). SAZbike fasst die Positionen zusammen.
Pro:
Viele Händler und Verbandsvertreter begrüßen den Vorschlag als längst überfälligen Schritt, um Serviceleistungen fair zu vergüten und den stationären Handel zu stabilisieren.
- Uwe Wöll (VSF) betont:
"Wir konnten mit den Bedingungen vor der Einführung von Provisionen gut leben. Die Spielregeln wurden durch Hersteller und Leasing-Anbieter geändert, nicht durch den Handel!" - Robert Peschke, CEO von Little John Bikes, ergänzt:
"Die aktuelle Belastung im Handel ist so groß, dass ansonsten durch das Wegbrechen viele Händler ein weiteres Problem auch für Fahrrad-Leasing-Unternehmen entsteht. Es braucht also beides Veränderung bei den Leasing-Anbietern und dazu eine faire Abrechnung."

Kontra:
Kritiker der Überführungsgebühr sehen darin keine Lösung, sondern ein Risiko für das Dienstrad-Leasing. Zwar erkennen sie die schwierige Lage des Handels an, warnen aber vor rechtlichen und praktischen Folgen.
Sören Hirsch, Bereichsleiter Linexo by Wertgarantie, warnt:
"Überführungskosten dürfen nicht in die Leasing-Rate eingerechnet werden. Werden sie dennoch versteckt, entstehen rechtliche und praktische Probleme. Die Kosten müssen stets klar und separat ausgewiesen werden. Rechtlich vorgesehen ist außerdem, dass diese Kosten vom Leasing-Nehmer getragen werden - also vom Arbeitgeber, nicht vom Arbeitnehmer. Eine Überführungsgebühr bekämpft nicht die Ursache, nur das Symptom. Jede zusätzliche Kostenposition schmälert die Attraktivität des Dienstrad-Leasings - egal, wer sie zahlt. Wer die Branche zukunftsfähig machen will, muss an den Ursachen ansetzen, nicht am Preisschild."
Handelsexperte Markus Koob kritisiert den Zeitpunkt:
"Eine solche Empfehlung hätte man im Corona-Boom herausgeben können. In Zeiten, in denen es läuft, entscheidet man über solche Einführungen. Aber nicht jetzt, wo der Verbraucher schon an der Türschwelle umkehrt, wenn der zweistellige Rabatt fehlt. [...] Seit Jahrzehnten stemmen Fachhändler mit Authentizität, Nähe u. Service alle Marktumbrüche. Und nun soll die Kundschaft mit einer zusätzlichen Umlage belastet werden, um Löcher zu stopfen, die ganz woanders entstehen. Dabei liegt die Verantwortung bei den Herstellern und Leasing-Anbietern. Sie müssen dafür sorgen, dass Fachhändler nicht nur ihre Rechnungen bezahlen, ihre Räder in den Umlauf bringen, sondern auch ihr eigenes Leben durch das Geschäft finanzieren können!"
Dr. Sebastian Huber, The Berner Group, findet deutliche Worte:
"Als Reaktion, die von Kunden am schlechtesten akzeptierte und verhassteste Gebühr einzuführen, wirkt für jemand aus dem KFZ-Bereich wie ein schlechter Witz. [...] Überführungskosten haben gar keinen Mehrwert, keine Gegenleistung, keine Rechtfertigung in den Augen der Kunden."


Praxisstreit & Lösungsdilemma
In der Praxis entzündet sich die Diskussion an der Frage, wer am Ende über die Konditionen entscheidet. Während einige Diskussionsteilnehmer glauben, die Händlerinnen und Händler könnten frei wählen, mit welchen Leasing-Anbietern sie zusammenarbeiten, ist es in der Realität jedoch anders. Arbeitgeber machen Vorgaben, welche Anbieter genutzt werden müssen. Individuelle Preisgestaltung - etwa bei Überführungskosten - wird dadurch erschwert und kann sogar zu neuem Wettbewerbsdruck führen.

Lösungsweg oder neue Baustelle?
Die VSF-Initiative zeigt: Die Branche braucht dringend ein nachhaltiges, faires und transparentes Vergütungsmodell, das gemeinsam von Händlern, Dienstleistern und Anbietern entwickelt wird.
Doch neue Gebühren allein lösen das Problem nicht. Sie könnten schnell als "Hilfskonstruktion" verpuffen, wenn zentrale Kostenfaktoren und Machtungleichgewichte zwischen Handel, Produzenten und Dienstleistern bestehen bleiben. Umso wichtiger sind zielführende und lösungsorientierte Gespräche unter allen Beteiligten.
Im Rahmen der VSF-Jahrestagung in Leipzig werden Uwe Wöll und Thorsten Larschow am 24. November erläutern, wie Händlerinnen und Händler Überführungskosten rechtssicher in ihren Geschäftsalltag integrieren können.

Fazit & Aufruf zur Diskussion

Die Debatte zeigt: Eine einfache Lösung gibt es nicht. Während die einen in der Gebühr einen Rettungsring für Qualität und Fairness sehen, fürchten andere eine zusätzliche Hürde - für Händler wie für Kunden.
Wie kann eine faire, zukunftsfähige Struktur entstehen, die allen Beteiligten gerecht wird?
👉 Diskutiere mit - direkt im Kommentarbereich auf LinkedIn im SAZbike-Profil!
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