
Agentic Commerce - wenn KI für Kundinnen und Kunden mitdenkt
Lieber SAZbike Leser,
Agentic Commerce ist ein Begriff, den wir in Zukunft häufiger hören werden. Gemeint ist der Einkauf mit Hilfe von KI-Agenten, die selbstständig Schritte übernehmen, die heute oft in vielen kleinen Handgriffen stecken: Informationen sammeln, Rückfragen klären, Varianten vergleichen, bezahlen, den Service danach organisieren.
Ganz wichtig dabei: Die Idee ist nicht, Beratung zu ersetzen, sondern die Reibung aus dem Ablauf zu nehmen - besonders dort, wo Produkte erklärungsbedürftig sind und Servicequalität über den zweiten Verkauf entscheidet. Genau das trifft die Fahrradbranche.
Seit Herbst 2025 gibt es dafür sichtbare Bausteine. OpenAI, das Unternehmen hinter der bekanntesten KI-Lösung ChatGPT, hat gemeinsam mit dem Finanzdienstleister Stripe einen technischen Rahmen geschaffen: das Agentic-Commerce-Protokoll (ACP) und einen Sofortkauf direkt aus dem Dialog (engl. "Instant Checkout").
Händler behalten ihre bestehenden Bestell- und Zahlungssysteme, die KI vermittelt lediglich zwischen Wunsch ("Ich suche...") und Umsetzung ("Bitte bestellen...").
Der Sofortkauf ist als zusätzlicher Kanal gedacht, nicht als Bevorzugung einzelner Anbieter in Ergebnislisten.
Warum ist das für uns jetzt relevant? Weil erste, belastbare Zahlen zeigen, dass solche Funktionen Wirkung entfalten - und weil sie nur funktionieren, wenn Daten, Prozesse und Regeln in den Betrieben stimmen.
Salesforce, ein weltweit führendes Unternehmen für Cloud-basierte Software, berichtet kurz vor der Cyber-Week 2025: Über 19 % der Bestellungen wurden von KI-Funktionen und Agenten beeinflusst; Händler mit solchen Funktionen erzielten im Mittel +5 % Conversion und +10 % Umsatzwachstum gegenüber Vergleichsgruppen. Das ist keine Garantie, aber ein klarer Richtungspfeil.
In diesem SAZbike Premium Newsletter zeigen wir, was genau Agentic Commerce bedeutet, wie es funktioniert und wie dieses Konzept gewinnbringend in der Fahrradbranche eingesetzt werden kann.
Viele Grüße
Alexander Schmitz

Alexander Schmitz
Chefredakteur, SAZbike
Was steckt dahinter - in einfachen Worten

Ein KI-Agent ist ein Programm, das nicht nur antwortet, sondern Aufträge ausführt: "Suche ein Trekking-E-Bike für 30 km Pendelstrecke, 1,85 m Körpergröße, Budget 3.000 Euro. Prüfe Leasing über den Arbeitgeber, finde eine Probefahrt in KW 12, bestelle das passende Schloss mit."
In Zukunft könnte sich über diese Frage eine Vorauswahl stattfinden, in welchen Geschäften der Einkauf danach weitergeht. Damit das klappt, braucht der Agent Zugriff auf verlässliche, maschinenlesbare Informationen:
- Produkt: Geometrie (z. B. Reach/Stack, Kettenstrebe), Motor-und Akkudaten, Reichweitenmodelle (Pendeln, Tour, Trail), Zubehör-Kompatibilität.
- Service: Werkstatt-Zeitslots, Pauschalen, Garantie-Voraussetzungen.
- Regeln/"Policies": Leasing-Bedingungen, Widerruf, Umtausch.
ACP/Sofortkauf übersetzen den letzten Schritt ("bitte bestellen") in einen geordneten, protokollierten Ablauf - ohne dass ein Fachgeschäft sein System aufgeben müsste. Für Kundinnen und Kunden verschwinden Medienbrüche; für Betriebe zählt, was sauber gepflegt und rechtssicher dokumentiert ist.


Wie sich der Alltag im Fahrradhandel verändern kann
Beratung rückt in Etappen zusammen. Heute führen viele Wege zum Angebot: Telefon, E-Mail, Formular, Ladenbesuch. Agenten bündeln diese Etappen leise im Hintergrund.
Ein Beispiel: Der Agent berechnet vorab eine Reichweiten-Schätzung auf Basis von Strecke und Profil, holt aus dem Datenbestand zwei passende Modelle, prüft die Leasing-Regeln des Arbeitgebers, bietet einen Probefahrt-Slot an und legt das Zubehör-Bundle bei.
Das bedeutet nicht, dass niemand mehr erklärt - aber die Erklärung startet besser vorbereitet.
Der Kassenweg wird kürzer. Kleinteile oder Zubehör können direkt im Gespräch geordert werden (Sofortkauf), größere Käufe eher mit Anzahlung plus Terminsteuerung.
Aus Händlersicht zählt die Anschlussfähigkeit: Wer ACP-kompatible Flüsse anbietet, baut Reibung ab - und erhöht die Chance, vom Agenten überhaupt vorgeschlagen zu werden.
Service gewinnt an erster Linie. Wenn Standardschritte (Garantie-Vorprüfung, Terminbuchung, Teile-Routing) automatisiert werden, kommen Kundinnen und Kunden mit klaren Anliegen in die Werkstatt. Das entlastet Frontoffice und reduziert Missverständnisse - allerdings nur, wenn die zugrunde liegenden Regeln eindeutig gepflegt sind.
Risiken bleiben - und müssen gesteuert werden. Agenten können sich irren: falsche Empfehlung, fehlerhafte Anwendung von Bedingungen, unpassende Bestellung. Dafür braucht es Sicherungen: Protokollierung, Zuständigkeiten, und für heikle Schritte eine menschliche Freigabe. Die Maschine kann den Menschen nicht ersetzen, sie sorgt aber dafür, dass mehr Zeit für andere Vorgänge bleibt.

Was das für Hersteller und Marken bedeutet
Für die Industrie verschiebt sich der Schwerpunkt von Kampagnen zu steuerbaren Erlebnissen entlang der ganzen Kundenreise: Produktdaten werden zum Markenbaustein, Services und Regeln zum Teil des Angebots. Das verlangt klare Datenmodelle (von Geometrie bis Zubehör-Kompatibilität), Pflegeprozesse über den gesamten Lebenszyklus (Modelljahre, Revisionen, Ersatzteile) und Governance für Haftung und Freigaben.
Der Marketingexperte Simon Betsch (KMS Team) beschreibt in seinem Gastbeitrag in SAZbike 19/2025 drei Konsequenzen:
- Erstens braucht Marke eine technische Übersetzung - Designsysteme, Tonalität und Beratungslogik müssen so beschrieben sein, dass Agenten sie anwenden können.
- Zweitens werden Teams integrierter arbeiten: Produktmanagement, Marketing, Vertrieb und Aftersales liefern gemeinsam die Bausteine, mit denen Agenten beraten und handeln.
- Drittens entsteht ein neuer Werkzeugkasten: Journey-Modelle, wiederverwendbare Antwortbausteine, Tests und Messpunkte für Qualität und Wirkung.
Kurz: Wer Marke in Daten, Regeln und Abläufe überträgt, behält die Deutungshoheit - und wird von Agenten überhaupt sichtbar gemacht.

Ein kurzer Blick auf Zahlen - ohne Zahlensalat
- Bestell-Einfluss 2025: Laut einer aktuellen Studie sind bereits 19 % der Orders von KI/Agenten beeinflusst. Die Zahl der Kaufabschlüsse (Conversion) nimmt um 5 % zu, bei Händlerinnen und Händlern mit solchen Funktionen gibt es 10 % Umsatzwachstum.
- Service-Automatisierung 2029: In Zukunft könnten 80 % der Standardfälle potenziell autonom gelöst - mit deutlicher Kostenreduktion.
- Produktivität im Support: Rund 14 % mehr gelöste Fälle pro Stunde könnten durch KI-Assistenz möglich sein. Am stärksten zeigt sich dieser Effekt bei Einsteigerinnen und Einsteigern.
Einordnung: Das sind belastbare Hinweise, keine Automatismen. Wirkung entsteht dort, wo Daten stimmen und Teams Prozesse wirklich umstellen - nicht nur ein Werkzeug "oben drauf" setzen.

Was bedeutet das praktisch für Handel und Industrie?
Erstens: Daten werden zum Produkt.
Wer von Agenten gefunden und empfohlen werden will, muss Informationen liefern, die Maschinen verstehen: saubere Bezeichnungen, Einheiten, eindeutige Felder. Statt Hochglanztexte zählen Pflichtfelder und Klarheit (z. B. maximale Reifenbreite, Q-Factor, Akkukapazität, Zuladung). Reichweiten sollten modelliert vorliegen (Pendeln, Tour, Trail), nicht nur als grobe Schätzung. Zubehör-Kompatibilität gehört in einen abfragbaren Katalog, nicht in Fließtext.
Zweitens: Service ist ein eigenes Angebot.
Klare Pakete ("1.000-km-Check", "Winterpaket Montage") mit festen Preisen und Zeitslots erleichtern es Agenten, Termine sinnvoll zu vergeben - und ersparen Rückfragen. Garantie-Voraussetzungen und Kulanzregeln sollten maschinenlesbar dokumentiert sein, sonst wenden Agenten sie nicht an (oder falsch).
Drittens: Regeln offenlegen, Haftung klären.
Leasing-Vorgaben, Widerruf, Rückgabe - all das muss verständlich und widerspruchsfrei vorliegen. Für riskante Entscheidungen (z. B. kostspielige Sonderbestellungen) empfiehlt sich eine Zwei-Faktor-Freigabe: Der Agent bereitet vor, der Mensch bestätigt. Das ist keine Bremse, sondern Risikosteuerung.

Stimmen und Stimmungsbild
In den letzten Wochen haben Branchenstimmen betont, dass Standardisierung den Takt vorgibt: Wer seine Daten und Regeln ACP-kompatibel bereitstellt, taucht eher in Empfehlungen auf.
Andere verweisen darauf, dass der Verkaufstrichter kürzer wird: vom Informationsgespräch direkt zum Abschluss, ohne Sprung in ein separates Kassensystem.

Fazit, Ausblick & Einladung

Agentic Commerce ist kein Modewort. Es ist die konsequente Fortsetzung der Digitalisierung: Beratung wird durch vorbereitete Informationen besser, Kauf wird kürzer, und Service wird vorausschauender.
Für die Fahrradbranche entscheidet Datenqualität über Sichtbarkeit - nicht Lautstärke. Wer Produkt, Service und Regeln in klare, maschinenlesbare Bausteine übersetzt, verbessert Abschlussraten und Kundenzufriedenheit.
Wer abwartet, überlässt die Deutungshoheit neuen Gatekeepern - und riskiert, aus den Vorschlägen der Agenten zu verschwinden.
Simon Betsch (KMS Team) vertieft das Thema beim SAZbike Prolog 2026 - präsentiert von Paul Lange & Co. - am 26. Februar. 2026 in der Area3, Dreieich. Dort geht es um die Folgen für Markenführung und Marketing in unserer Branche - mit vielen konkreten Beispielen. Mehr zum SAZbike Prolog und zur Anmeldung auf sazbike.de/prolog.
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